Luegen auf Albanisch
gewartet, zusammen mit den Familien der toten Freiheitskämpfer. Lula hütete sich, darum zu bitten, die Überreste ihrer Eltern noch einmal sehen zu dürfen. Das Bild, das sie im Kopf behalten wollte, war das des starrköpfigen Kartoffelgesichts ihres Vaters, als Tante Mirela ihn dafür anbrüllte, ohne guten Grund in eine Kriegszone zu fahren. Ein sehr guter Grund, hatte ihr Vater gesagt. Ich helfe, wo Hilfe gebraucht wird. Zum Glück hatten Tante Mirela und Onkel Adnan nicht Lula die Schuld gegeben, als ihr Vater ihnen das Auto für die tödliche Reise über die Grenze in den Kosovo klaute.
Die silbrige Helle der Sicherheitslichter in einem Bürokomplex huschte vorbei, riss Lula gerade noch rechtzeitig aus ihrer melancholischen Träumerei, um die beschwipste Einladung eines gekippten Neonmartiniglases zu bemerken. Zweimal kamen sie an einem schwarzen Lexus vorbei, und Lula drehte sich so plötzlich um, dass Mister Stanley fragte, was los sei.
»Lexus sind cool«, sagte Zeke. »Die Firma sollte Leichenwagen bauen.«
Wenn Lula mit Zeke allein gewesen wäre, hätte sie gesagt, er solle auf Holz klopfen und nichts mehr über Leichenwagen sagen.
Mister Stanley sagte: »Zeke, dieses feuchte Laub ist fast so schlimm wie Glatteis. Nicht nur fast. Genauso schlimm. Sei vorsichtig.«
Zeke gab Schnarchlaute von sich.
»Deine Mom hat angerufen. Bei mir im Büro«, fuhr Mister Stanley fort.
Die falschen Schnarchgeräusche verstummten.
Ausgerechnet jetzt musste Mister Stanley Zeke darüber informieren, dass seine Mutter angerufen hatte? Auf dem Weg zu Lulas Feier? Aber eigentlich war es nachvollziehbar. Er wollte nicht allein mit seinem Sohn sein, oder ihn auch nur ansehen müssen, wenn er es ihm erzählte.
»Und … was hat sie gesagt?«, fragte Zeke.
»Sie sagte, es gehe ihr besser. Sie klang nicht mehr so verstört oder zumindest nicht mehr so wütend.«
»Was hat die denn für einen Grund, wütend zu sein?«
»Ich wünschte, ich wüsste es, Junge«, sagte Mister Stanley.
Nach einer Weile fragte Zeke: »Wo ist sie?«
»Sedona, Arizona.«
»Was gibt es da?«
»Rote Felsen. Indianische Geister.«
Zeke sagte: »Genau Moms Stadt.«
»Sie sagte, sie möchte dich sehen. Sie möchte, dass du sie besuchst.« Mister Stanley versuchte vergeblich, seine Besorgnis und den flehenden Ton aus seiner Stimme zu halten.
»Da kann sie lange drauf warten«, sagte Zeke.
»Ganz genau«, sagte Mister Stanley. »Mir gefällt, wie du darüber denkst. Na gut, vergessen wir das jetzt mal. Heute ist Lulas Abend. Die arme Ginger! Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit für uns, ihr zu helfen. Aber sie will unsere Hilfe nicht.«
»Wird bestimmt ein lustiger Abend«, sagte Lula schwach.
»Auf jeden Fall«, sagte Mister Stanley.
Die in Doppelreihen vor dem Restaurant parkenden Taxis sprachen dafür, dass der Wein gut sein würde. Der Wein und das Steak. Solche Restaurants gab es auch in Tirana, für Parteibonzen und später für Gangster. Schusswaffen unter beiden Achseln. Ein Kerl in Smoking und schwarzer Fliege sprintete auf das Auto zu. Mister Stanley wich zurück, und der Mann vom Parkservice musste ihm die Schlüssel aus der Faust zerren.
»Dad«, sagte Zeke. »Immer mit der Ruhe, okay? Parkservice ist geil.«
Drinnen flatterte eine ganze Schönheitsgalerie wie Motten um das Stehpult mit dem Reservierungsbuch, ein schimmerndes Tableau, das durch die Ankunft von Mister Stanley und Gefolge zerfiel. Eines der Mädchen trennte sich von dem Rest, um sie zu Don Settebello zu führen, der sich von einer Sitzbank erhoben hatte und ihnen zuwinkte wie geliebten Passagieren, die in den Hafen einliefen.
Beim Durchqueren des Restaurants drehten sich einige Köpfe nach Lula um, die sich um Dons und Mister Stanleys willen darüber freute. Sie verdienten es, mit jemandem zu speisen, der andere Männer kurzfristig vergessen ließ, worüber sie gerade sprachen.
Don schloss Mister Stanley und Zeke in eine überschwängliche Umarmung. In seinem Büro begrüßte er Lula immer mit einem förmlichen Händedruck, aber heute Abend stellte er sich auf die Zehenspitzen und küsste sie auf die Wange. Hier ging es um eine Feier! Dons runder kahler Kopf und sein Bauch erinnerten Lula an einen Bowlingkegel für Riesen. Don besaß viele gute Eigenschaften – Intelligenz, Freundlichkeit, Großzügigkeit, Macht –, die Frauen anziehend fanden. Lula wäre gern eine dieser Frauen gewesen, statt sich von der Art Typen angezogen zu fühlen, die dich baten,
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