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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francine Prosse
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nicht leisten konnten, sich gegenseitig anzustacheln, nach Preisen für Luxusgüter zu fragen, die sie nicht zu berühren wagten. Natürlich waren sie auch in Tirana shoppen gegangen, auf den Straßenmärkten, als sie Teenager waren, und in den im Blloku-Viertel entstandenen Boutiquen, Läden mit zu wenig Ware und zu hohen Preisen, die noch nach frischer Farbe rochen und von Mafia-Typen eröffnet wurden, damit ihre gelangweilten, kinderlosen Geliebten sich gegenseitig gestohlene Designerschuhe verkaufen konnten. New York hatte bestätigt, was Lula und Dunia seit Langem vermutet hatten, nämlich dass der schickste Laden in Tirana ein Sandkasten im Kindergarten der Echtwelt-Konsumkultur war. Zuerst war Lula regelrecht wütend geworden über die sagenhafte Auswahl und den obszönen Überfluss an Waren. Aber Dunias Gegenwart hatte Lulas Wut wie durch Alchemie in Humor verwandelt. Gemeinsam waren sie doppelt so stark und konnten so tun, als wären sie dieser unerschwinglichen Pracht locker gewachsen. Sie hatten sich gegenseitig als Rüstung gedient, als Schutzschirm gegen die Gelassenheit amerikanischer Mädchen, die sich von Fremden schminken ließen, gegen die tranceartige Ruhe der Frauen, die sich durch die Kleiderständer wühlten.
    O Dunia, Dunia, wo bist du? Jede Woche kam im Fernsehen eine Sendung über Frauenhandel, und obwohl Lula überzeugt war, oder ziemlich überzeugt, dass Dunia zu gescheit war, um auf so was reinzufallen, war Albanien immer noch Albanien. Dort konnte alles passieren. Menschen fielen in Löcher auf dem Bürgersteig, und man hörte nie wieder von ihnen.
    Heute vermisste Lula Dunia ganz besonders, während sie die demütigende Yogaübung durchführte, einen Pullover und einen Rock in der Großraumumkleide eines Ladens anzuprobieren, der selbst in Tirana für seine verbilligten Designerangebote berühmt war. Wie die Frauen um sie herum täuschte Lula Gleichgültigkeit für die unterschiedlichen Frauenkörper in den Spiegeln vor. Zu Hause achtete niemand allzu sehr auf sein Gewicht. Armut und Furcht hielten einen schlank, wenngleich sie in diesem Land seltsamerweise die gegenteilige Wirkung hatten.
    Aber wie sehr sich Lula auch bemühte, nichts zu bemerken, entging ihr doch nicht, wie das Mädchen neben ihr eine Bluse in den Rucksack stopfte, während ihre Freundin zur Ablenkung mit der Frau stritt, die an der Tür zum Umkleideraum Wache hielt. Würde diese Angestellte gefeuert werden, wenn jemand den Diebstahl herausfand? Wahrscheinlich nicht. Sie zuckte nur mit den Schultern, als eine Kundin ihr eine Handvoll Diebstahlssicherungen gab, die sie in einer Jackentasche gefunden hatte. Lula hätte den Pullover und den Rock vermutlich klauen und Mister Stanleys Geld behalten können. Aber sie hatte gerade erst ihr Arbeitsvisum bekommen. Wie peinlich, für den Ladendiebstahl eines Outfits ausgewiesen zu werden, das sie zu der Feier ihrer neugewonnenen Legalität tragen wollte.
    Lula betrachtete ihr Spiegelbild. In ihrer Unterwäsche aus der Grabbelkiste sah sie immer noch annehmbar aus, ein Wunder bei ihrer sitzenden Lebensweise, den abendlichen Mojitos, den tiefgefrorenen Hamburgern und Fertigpizzas. Ihre Großmutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie wüsste, was Lula aß. Sie schob erst die eine, dann die andere Hüfte vor, musterte kritisch den kurzen schwarzen Faltenrock, den weißen Pullover mit V-Ausschnitt, schulmädchenhaft, cheerleaderhaft, gerade sexy genug, dass sich die Köpfe nach ihr umdrehen würden, ohne total nuttig zu wirken. Lula entschied sich auch noch für einen dunkellila Gothic-Pullover. Vielleicht würde sich Zeke einbilden, sie hätte sich seinetwegen in Trauerfarben gekleidet, während Don und Mister Stanley ihr Aussehen für exotisch albanisch halten würden.
    Der Rock und die Pullover kamen auf hundertdreißig Dollar, was ihr noch Wechselgeld übrig ließ und das angenehme Gefühl gab, vernünftig für die Zukunft zu sparen und das Sicherheitspolster im Geheimfach des Schreibtisches zu verstärken, der laut Zeke Gingers Mutter gehört hatte. Die schwingende Einkaufstüte am Arm erfüllte sie mit Optimismus. Sie hatte nicht nur neue Kleider, sie hatte auch eine Zukunft, in der sie diese Kleider tragen konnte.
    Sie wusste, wie man in New York lebte, welche U-Bahn sie zu dem ersten der Busse nehmen musste, der sie heim nach New Jersey bringen würde. Eines Sonntagmorgens hatten Dunia und sie eine Flasche Wein getrunken und sich das U-Bahnnetz eingeprägt. Das Netz der

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