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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francine Prosse
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Settebellos Essen zurechtmachte, nahm Lula in allerletzter Minute Abstand von den Kniestrümpfen, die ihre Aufmachung über die Grenze vom Schulmädchen zum rollenspielenden Begleitservice-Schulmädchen geschubst hätten. Sie griff nach dem duftigen schwarzen Schal, den sie letztes Weihnachten von Zeke bekommen hatte, legte ihn um den Hals und band ihn zu einer Art Schlinge, was ihre bleiche Haut hervorhob und ihr etwas Vampirhaftes gab, das Mister Stanley und Don vielleicht zu schätzen wussten, wenn auch nur auf einer unterbewussten Ebene. Zeke würde es sehr gefallen.
    Lula scheute sich davor, nach unten zu kommen, wenn Mister Stanley und Zeke dort schon auf sie warteten und sich verpflichtet fühlen würden, ihr zu sagen, wie hübsch sie aussehe. Daher hatte sie sich vorzeitig fertig gemacht und saß im Mantel auf der Couch, als Mister Stanley im Anzug erschien und, zwanzig quälende Minuten später, Zeke in einem schwarzen Hemd, schwarzer Jeans und schwarzer Bomberjacke die Treppe herunterpolterte.
    Lula sagte: »Du siehst gut aus, Zeke.«
    »Nicht wahr?«, meinte Mister Stanley wehmütig.
    Zeke behielt sein unechtes Lächeln so lange bei, bis niemand es mehr für ein echtes halten konnte. Dann sagte er: »Wahnsinn! Lula trägt endlich den Schal!«
    »Ihr Weihnachtsgeschenk von Zeke«, sagte Mister Stanley. »Ich erinnere mich! Wie nett!«
    Der tote Baum, den Mister Stanley am letzten Weihnachtsabend nach Hause geschleppt hatte, tauchte vor Lulas Augen auf. Am Weihnachtsmorgen hatte er seine Nadeln bereits auf den Schal fallen lassen, auf einen Umschlag mit einem Hundert-Dollar-Schein von Mister Stanley für Lula, ein iPhone für Zeke und zwei Banana-Republic-T-Shirts, die Zeke nie tragen würde. Lula hatte Zeke die Coumadin Rat Bleed-Out Live- CD geschenkt, die er sich gewünscht hatte, und für Mister Stanley hatte sie den bauchigen Keramikkrug in Geschenkpapier gepackt, den sie in Tirana noch in ihren Koffer gestopft hatte. Wenn sie von hier fortging, würde sie darum bitten, ihn wiederzubekommen. Zeke schenkte seinem Vater eine Karte mit dem Versprechen, im kommenden Jahr netter zu sein, ein Versprechen, das er schon brach (schweigend, um Lulas willen), als Mister Stanley ihr die Karte noch laut vorlas.
    Den ganzen Weihnachtstag über hatte Mister Stanley immer wieder gesagt, wie untraditionell es sei, das Festessen bei Applebee’s einzunehmen und sich im Einkaufszentrum einen Film anzuschauen. Sie hatten Gladiatorenblut über eine riesige Leinwand spritzen sehen und darauf gewartet, dass der Tag zu Ende ging. Niemand erwähnte, dass es der Jahrestag von Gingers Verschwinden war. Als sie heimkamen, blinkte der Anrufbeantworter. »Fröhliche Weihnachten, Schätzchen, hier ist Mom. Alles Liebe aus Ubud. Bali. Glaube ich. Ich wollte dir ein Geschenk schicken, aber auf der Post war es so … und diese …« Das Gerät summte, und Gingers Stimme versank im Ozean zwischen ihnen. Mister Stanley hatte gesagt: »Mom klingt besser, meinst du nicht auch?«, und Zeke war hinauf in sein Zimmer gerannt.
    Jetzt sagte Zeke: »Ich wusste, dass dieser Schal super aussehen würde. Also los. Wir sind spät dran. Don wird schon warten.«
    »Das ist mein Spruch«, sagte Mister Stanley. Aber Zeke war bereits aus der Tür.
    In den Monaten, seit Lula hier wohnte, waren sie so selten zu dritt im Auto gefahren, dass die Sitzverteilung noch nicht geregelt war.
    »Das ist deine Party, Lula«, verkündete Zeke und schob sich auf den Rücksitz.
    Mister Stanley bog auf die Straße, fuhr in Richtung des Highway und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Wie seltsam, dass alle Fahrer es vorzuziehen schienen, die Straßenverkehrsregeln zu beachten, statt Selbstmord oder Mord zu begehen. Lichter teilten sich, um sie durchzulassen. Warum sollte Fahren schwerer sein, als sich aus einem Sarg unter Wasser zu befreien? Alle fuhren Auto. Alle wurden geboren und aßen und schliefen und hatten Sex und starben. Und fuhren Auto. Es war nicht Lulas Schuld, dass sie es nicht konnte. Dort, wo sie herkam, war Autofahren eher eine Extremsportart statt eine alltägliche Fortbewegungsart.
    Irgendwann hatte ihr Vater mit dem uralten Zastava seines Bruders auf den Panzer zugehalten, und das war’s dann. Der Vetter eines Vetters hatte dafür gesorgt, dass die Leichen ihrer Eltern nach Tirana zurückgebracht wurden, zusammen mit den Leichen albanischer Jungs, die mit der UÇK gekämpft hatten. Lula hatte mit ihrem Onkel und ihrer Tante am Flugplatz

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