Luegen auf Albanisch
der SUV war leer.
»Geht’s dir gut?«, fragte Alvo.
Warum fragte jeder sie das? Waren ihr denn sämtliche Gefühle so deutlich anzusehen?
Sie sagte: »Auf der Uni habe ich Poker gespielt. Da habe ich oft genug gewonnen, um meinen Freunden Drinks zu spendieren. In diesem Club, in dem wir damals rumhingen, in Blloku.«
»Welchem Club?«, fragte Alvo.
»Dem Paradise.«
»Im Paradiese war ich auch oft«, sagte Alvo. »Wie kommt’s, dass ich dich da nie gesehen habe?«
»Ich war da«, sagte Lula.
Alvo ließ den SUV an und fuhr los.
»Ich würde auch gern fahren können«, sagte Lula.
»Ich kann’s dir beibringen«, sagte Alvo. »Ist ganz leicht. Kleinkinder fahren. Senile Omas fahren. Eine Fahrstunde würde reichen.«
»Zwei Fahrstunden«, sagte Lula.
»Eine Fahrstunde«, sagte Alvo.
Die letzten Tropfen eines morgendlichen Schauers funkelten auf den herabgefallenen Blättern und dem bräunlichen Gras. Sie fuhren an einem Golfplatz vorbei, auf dem ein Gebäude mit drei Dächern stand, spitz wie Hexenhüte.
»Schau mal!«, rief sie. »Die sehen aus wie die Imbissbar im Park von Tirana.«
Alvo nickte. Dass er wusste, welche Imbissbar sie meinte, machte sie überglücklich.
Schließlich verfielen Lula und Alvo in eine Art kameradschaftliches Schweigen, das friedvolle Glück verheirateter Paare, das Lula trotz allem, was dagegen sprach, eines Tages doch zu erleben hoffte. Mit Alvo? Sie träumte wohl.
Die seidige GPS -Stimme ließ Alvo mehrfach abbiegen. Dann säuselte sie: »Ziel erreicht.« Alvo parkte vor einem Restaurant, dessen Fenster mit einem schwarzen Vorhang bedeckt war. Bis auf die asiatische Beschriftung sah es fast albanisch aus.
»Old Sam?«, las Lula.
»Old Siam«, sagte Alvo. »Old Sam. Sehr komisch.«
Lula sagte: »Lach du nur. Sehr nett. Woher willst du wissen, dass ich keine Legasthenikerin bin?«
»Albaner kriegen keine Legasthenie. Das ist eine Krankheit, die Amerikaner erfunden haben, damit sie nicht zugeben müssen, dass ihre Kinder debil sind.«
»Vielleicht habe ich mich angesteckt, als ich hierherkam«, sagte Lula. Von da aus hätte es leicht sein sollen, das Gespräch auf Rechtschreibung zu lenken. Wenn sie doch nur herauskriegen könnte, ob Alvo Schöne und Heiler buchstabieren konnte. Das würde eine Menge Fragen beantworten. Oder zumindest eine große Frage.
Alvo sagte: »Wir sollten aussteigen.«
»Entschuldige«, sagte Lula.
Auf dem Parkplatz des Old Siam herrschte ein besorgniserregender Mangel an Fahrzeugen. Zwei Schlucke von einem süßen Getränk mit Schirmchen – nächste Station Bangkoker Bordell. Kein Wunder, dass ihr Sozialleben daniederlag! Wer würde sich denn schon mit einem Mädchen verabreden wollen, das nicht mitbekam, wenn es von einer Verabredung zum Mittagessen in die Prostitution verkauft wurde? Als sie den Parkplatz überquerten, schienen Lulas Fingerspitzen und seltsamerweise auch ihre Kopfhaut, unabhängig von ihrem Gehirn, auf Alvos schlaksiges, körperliches Vorhandensein zu reagieren. Beeindruckend, wie ein paar gleichzeitig feuernde Nervenenden Lulas vernünftige Zweifel darüber zum Schweigen brachten, allein mit einem Mann zu sein, den sie kennengelernt hatte, als er in ihrem Haus eine Waffe verstecken wollte.
Alvo sagte: »Dieser Thai von der Arbeit hat mir von dem Restaurant erzählt. Das mag ich an diesem Land. Manche Menschen verbringen hier ihr ganzes Leben und essen nur albanisch. Aber ich mag Restaurants, die Authentisches aus Ländern servieren, von denen Albanien nie gehört hat.«
»Ich auch«, sagte Lula. Sie stellte sich vor, wie sie sich mit Alvo als tapfere kulinarische Forscherin den Weg um die Welt aß, ohne das Drei-Staaten-Gebiet New York, New Jersey und Connecticut je verlassen zu müssen. Er hatte gesagt, einer von der Arbeit. Vielleicht führten sie eine Bauarbeiterkolonne. Vielleicht beschäftigten sie thailändische Arbeiter.
»In Queens ist es am besten«, sagte Alvo.
»Ich war noch nie in Queens«, sagte Lula.
Keine weiteren Gäste störten die makellose Perfektion der Tische mit gelben Decken und gefalteten Servietten. Jemand stellte die Musikanlage an, und ein Mädchen mit einer Babystimme gurrte und hickste sich durch einen Song, der wie ein Schlaflied klang, aber sicher von verlorener Liebe handelte. Sollte Lula je ein Kind bekommen, würde sie ihm solche Musik vorspielen.
Die Asiatin, die aus dem hinteren Teil des Restaurants auftauchte, war so froh, sie zu sehen, dass Lula gar nicht mehr wusste, wo sie
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