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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francine Prosse
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»Ich dachte, sie sei wahr. Etwas aus Ihrem Tagebuch.«
    »Ich habe mein Spektrum erweitert«, sagte Lula. »Ich dachte, dass Sie und Mister Stanley das wüssten. Außerdem, wenn ich eine Figur als den Halbbruder meines Großvaters bezeichne, muss das nicht heißen, dass er der Halbbruder meines Großvaters ist. Ich könnte eine Figur Don nennen, und sie wäre nicht Sie. Haben Sie Ismail Kadare gelesen? Den bedeutendsten albanischen Schriftsteller? Er hat über ägyptische Pharaonen und mittelalterliche Mönche geschrieben, um zu kaschieren, dass er über unseren Diktator schrieb.«
    Lula hätte Kadare nicht erwähnen sollen. Vermutlich würde Don sich kaum daran erinnern, dass sie die Handlung eines Kadare-Romans als Geschichte ausgegeben hatte, an der sie schrieb, aber warum das Risiko eingehen? Sie sagte: »Bulgarien war Disneyland im Vergleich dazu, wie wir lebten. Wie die Menschen in Tirana immer noch leben. Ihre bulgarische Freundin sollte mal hinfahren.«
    Don drehte die Handflächen nach oben, und seine Finger rollten sich ein, tasteten nach … was? Er interessierte sich nicht für Bulgarien. Er interessierte sich nicht für Lulas Geschichten.
    Don sagte: »Camp Delta war ein Schock. Man glaubt, man wüsste dieses, und man glaubt, man wüsste jenes … aber wenn man es dann tatsächlich sieht … Ich kann an nichts anderes denken. Ich möchte es allen erzählen, die zuhören wollen. Die Einsamkeit, der Druck … Gottlob gibt es gute Freunde und gutes Essen. Ich hoffe, meine Tochter findet das auch heraus. Noch eine Flasche, bitte. Pronto!«
    »Nein, vielen Dank«, sagte Lula zu der auf ihr Glas zielenden Flasche.
    »Für mich schon, vielen Dank«, sagte Don.
    Beide schwiegen eine Weile. Dann fiel etwas so Schweres auf Lulas Hand, dass die Teller klirrten. Zuerst dachte sie, ein dicker warmer Ziegelstein wäre auf ihren Fingern gelandet, doch er stellte sich als Dons Hand heraus. Instinktiv wollte Lula sie abschütteln, doch sie wartete reglos.
    Don sagte: »Sie sind eine wunderschöne Frau.« Er klang, als sei er erschrocken über die plötzliche Entdeckung. »Ist es in Ordnung, wenn ich das sage? Wenn ich Ihnen so ein Kompliment mache?«
    »Ein Kompliment ist ein Kompliment«, sagte Lula liebenswürdig, aber nicht kokett. »Stets willkommen, glauben Sie mir.«
    Don betrachtete sie über den Rand seines Weinglases, und es gab einen Augenblick, eigentlich nur einen Sekundenbruchteil … Mandatsverhältnis, Mandatsverhältnis , sang es in Lulas Kopf, eine telepathische Botschaft, wie viel Don allein durch die Berührung ihrer Hand aufs Spiel setzte. Und wofür? Menschlichen Kontakt? Romantische Absichten? Um sich ein paar Stunden lang mit schmutzigem, berufswidrigem, vielleicht strafbarem Sex von dem Schmerz und der Ungerechtigkeit der Welt abzulenken?
    Und dann, aus nicht erkennbaren Gründen, oder vielleicht aus einem guten, nur für Don wahrnehmbaren Grund, änderte sich die Stimmung. Don nahm seine Hand von Lulas und schob seine Brille hoch. Don, der Einsame, verschwand und wurde durch Don, den rechtschaffenen Anwalt, ersetzt.
    Don sagte: »Als ich heute Morgen aufwachte und in den Spiegel schaute, waren meine Haare grau.«
    Lula bemühte sich, ihre Verwunderung zu verbergen. Schon als sie Don kennenlernte, war das wenige, was von Dons Haar noch übrig war, grau gewesen.
    »Ich zitiere Tschechow«, sagte Don.
    »Den habe ich gelesen«, sagte Lula. »An die grauen Haare kann ich mich nicht erinnern.«
    »Das tun junge Leute nie«, sagte Don. »Jedenfalls haben die mich durch göttliche Einwirkung, oder vielleicht dank eines bürokratischen Murks, mit noch einem Gefangenen reden lassen. Bei dem handelt es sich um einen Geschäftsmann aus Mosul, der das Pech hat, denselben Namen wie eines dieser Al-Qaida-Dreckschweine zu haben. Natürlich lassen sie mich nicht an die hohen Tiere ran. Diejenigen, die tatsächlich etwas verbrochen oder etwas geplant und trotzdem Anspruch auf Rechtsschutz haben, egal, wie sehr Dick Cheney versucht, die Verfassung zu verdrehen …«
    Lula sagte: »Wenn Hoxha und Miloševic´ ein Baby hätten und das Baby ein Junge wäre, sähe es aus wie Dick Cheney.« Sie hatte seit Monaten darauf gewartet, diesen Spruch bei jemandem außer Zeke loszuwerden, doch sie hatte den falschen Moment gewählt. Für Don war es eine unsinnige Unterbrechung.
    »Ist ja nett, dass ich mich mit den Unschuldigen treffen darf. Keiner interessiert sich einen feuchten Käse dafür, was sie nicht getan haben.

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