Luegen auf Albanisch
hinschauen sollte.
»Wasser?« Die Frau lächelte und legte ihnen Speisekarten vor. Sie nickten. »Bier? Thai-Bier?« Nicken, nicken. Noch mehr Lächeln. Lula sah sie zur Küchentür gehen, an der eine weitere Asiatin und zwei blonde Männer in weißen Hemden und Krawatten angespannt warteten, als wollten sie die Frau nach einer durchgeführten Geheimmission eingehend befragen.
»Mormonen«, sagte Lula.
»Genau das hab ich mir auch gedacht«, sagte Alvo.
Lula fragte: »Wie sind die reingekommen? Selbst in der Zeit des heftigsten Kommunismus sah man Mormonen in Tirana.«
Alvo sagte: »Jemand hat bezahlt. Es gibt immer jemanden, der bezahlt.«
Die Wände waren mit Spiegeln verkleidet, in denen Lula sich und Alvo neben einem Kanal in Bangkok sah. Eine optische Täuschung: Auf einem Poster hinter ihnen war ein Tempel mit orangefarbenen Drachen abgebildet, die sich unter den korkenzieherförmigen Dachspitzen ringelten.
Lula fragte: »Hast du schon mal hier gegessen?«
»Noch nie. Ich wechsle gerne jeden Tag. Nie zweimal dasselbe.« Alvos Ton war beunruhigend. Er hatte nicht wie ein lässiger, selbstständiger Bauunternehmer geklungen, der so viel Spaß wie möglich haben wollte, sondern eher wie ein Gangster oder Politiker beim Beschreiben seiner Sicherheitsstrategie zur Abwehr eines Mordanschlags. Oder war es eine philosophische Äußerung? Lula hatte nicht das Gefühl, ihn danach fragen zu können. Vielleicht war es persönliche Magie, ein Geheimnis, das er für sich behielt, wie die weiblichen CEOs, die bei Vorstandssitzungen französische Dessous trugen. Alvos Revolver lag in Lulas Unterwäscheschublade, eingewickelt in diese hauchdünne Reizwäsche, die vielleicht doch keine Geldverschwendung gewesen war.
Er sagte: »Dasselbe gilt fürs Privatleben. Man ist ja nicht blöd. Wo werden Liebespaare erschossen? Immer an den üblichen Rendezvous-Plätzen. Die Bank mit Blick über den Hudson. Welcher vernünftige Mensch würde dorthin gehen? Irgendein Psychopath schleicht sich von hinten an. Peng. Und der Täter ist schon halbwegs in Pennsylvania, bis der Krankenwagen eintrifft.«
Er ist paranoid, dachte Lula. Noch etwas, das sie miteinander verband. Paranoia war das englische Wort für den gesunden Menschenverstand des Balkans. Lula konnte durchaus damit leben, nicht auf einer Bank über dem Hudson zu knutschen. Aber wie würde es sein, einen Geliebten zu haben, der nie zweimal dasselbe machte? Im Bett könnte es interessant sein. Wie kam sie auf Geliebter ? Von einem einzigen Essen beim Thailänder? Wenn Lunch für Beziehung stand, dann waren Lula und Don verheiratet.
Aber Moment mal. War da ein Haar auf dem Teller? Nein, ein Faden von ihrem Handschuh. Lula zupfte ihn herunter, doch gleichzeitig schwebte ihre Lavendelseife, geschmückt mit einem kupferfarbenen Haar, wie eine eklige Fata Morgana über dem glänzenden Porzellan. Das Trugbild verschwand innerhalb von Sekunden, hielt aber so lange, bis es Lula gelang, eine positive Übereinstimmung mit Alvos Haarfarbe festzustellen.
Sie fragte: »Hast du schon mal jemandem nachgestellt?«
Alvo sagte: »Seltsame Frage, aber na gut. Möchtest du, dass ich dir nachstelle?«
»Schau in den Spiegel«, sagte Lula. »Da sind wir. Beim Mittagessen in Thailand.«
Alvo schaute hin. Es interessierte ihn nicht. Danach trat Schweigen ein.
Schließlich sagte Alvo: »Ich würde nicht dorthin fahren. Ich kenne da diesen Sherpa. Buddhist. Fleißiger Arbeiter. Lügt nie. Hat mir erzählt, dass es bei ihm zu Hause diesen Hund gibt, der Yaks dadurch zur Strecke bringt, dass er sie von hinten anspringt und ihnen die Gedärme aus dem Leib reißt.«
»Schauermärchen«, sagte Lula.
»Dachte ich auch«, sagte Alvo. »Dann hab ich’s im Internet gesehen.«
»Wenn es kein Schwindel ist«, sagte Lula, »warum sind diese Hunde dann nicht die neuen Haustiere für Rapstars und asiatische Drogenbarone und mexikanische Narcos?«
»Gute Frage«, sagte Alvo.
Die Kellnerin brachte ihr Bier.
»G’zoor« , prostete Alvo Lula zu.
»G’zoor« , sagte Lula.
Ein paar Schlucke erfüllten Lula mit perlendem Optimismus. Das Leben war gar nicht so schlecht. In Tirana hatte niemand sie zum Essen ausgeführt, und ein Restaurant wie dieses hier wäre todschick, und es wäre kein Thailänder gewesen. Zu Hause gab es nur albanisch. Und chinesisch, wo dasselbe Lamm serviert wurde, nur mit Zuckerkruste und in Orange. Kurz bevor sie Tirana verließ, hatte ein Mexikaner aufgemacht, Señor Sowieso, bei
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