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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francine Prosse
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wollte. Er behauptet, wir hätten seine Klimaanlage verkehrt herum eingebaut, und sie hätte Staub und Ruß und Müll über sein kleines Baby gepustet. Jetzt will er, dass wir sie neu einbauen …«
    »Ich dachte, du machst nur gewerbliche Bauarbeiten«, sagte Lula.
    »Machen wir auch«, sagte er. »Genau, wie ich’s dir gesagt hab. Der Kerl halluziniert. Der hier ist für dich. G’zoor .«
    »G’zoor.« Lula nahm einen Schluck. Raki, das Getränk der Verabschiedung und der Begrüßung, der Gratulation und des Trostes. Lula hielt sich nicht für eine Patriotin. Ihrer Erfahrung nach war Heimatland meist mit Religion gleichzusetzen, ein Vorwand, andere Menschen zu hassen und sich dabei im Recht zu fühlen. Aber dann gab es da Raki. Raki war Albanien, er hatte diesen besonderen Geschmack. Selbst Albaner ohne sentimentale Anhänglichkeit an ihr Vaterland strahlten und bekamen feuchte Augen, wenn sich das Gespräch Raki zuwandte. Sie wurden schon high, wenn sie nur das Wort hörten.
    »Muttermilch«, sagte Alvo.
    »Delirium in einem Glas«, sagte Lula.
    »Zum Teufel, ja. Wer behauptet, mit Geld könne man kein Glück kaufen, hat noch nie den Spitzen-Maulbeerraki probiert.«
    »Ich mag den mit Walnuss«, sagte Lula.
    »Der funktioniert auch«, sagte Alvo. »Ist aber teuer.«
    Lula überlegte gerade, was sich sonst noch über Raki sagen ließ, als eine kreischende Rückkopplung den Lautsprecher zum Rattern brachte und die Musik albanisch wurde. Ein Mann sang von einer Frau, die er nicht vergessen konnte, wobei ihn die Klarinetten im Hintergrund aufzumuntern versuchten. Die Lautstärke nahm zu, während das Pochen des elektronischen Schlagzeugs die Menge in den Bann zog und die Verzauberten zur Tanzfläche drängte.
    »Noch was zu trinken?«, fragte Alvo.
    »Ich hab noch was.« Aber Lulas Glas schien sich seltsamerweise von allein geleert zu haben. »Klar, warum nicht?« Sie lächelte.
    »So mag ich mein Mädchen.« Alvo stürzte sich wieder ins Getümmel rund um die Bar.
    Sein Mädchen? Hatte Lula richtig gehört? Vielleicht nicht mehr als ein anerkennender Kommentar zu ihrer Trinkfestigkeit. Er hätte auch »mein Kumpel« sagen können. Doch sie befürchtete nicht mehr, dass er nicht zurückkommen würde. Sie lehnte sich an die Wand, die anscheinend den Rhythmus des Schlagzeugs aufgenommen hatte, und beobachtete, wie sich die Leute der Tanzfläche näherten, als wäre es ein Schwimmbecken, in das sie sich entweder kopfüber stürzen oder nur den großen Zeh eintauchen wollten.
    Es war schon so lange her, seit sie albanische Tänze gesehen hatte. Sie hatte vergessen, wie es einen in die Reihe zog, auch wenn man eigentlich cool und modern und albanischen Tänzen längst entwachsen war. In die einfachen Schritte floss so viel individuelle Seele mit ein, von Männern und Frauen, Jungen und Alten, Verheirateten, Singles, Dicken und Dünnen. Keiner trug die starre Maske der Leere oder Ängstlichkeit, die Lula so oft in den Gesichtern von Amerikanern gesehen hatte, wenn sie ihre eigenen Tänze erfanden, unbefangen zu wirken versuchten, selbst während sie sich bemühten, eine Botschaft von Selbstvertrauen und Sexualität auszusenden, und ob sie zu haben oder vergeben waren. Wie anstrengend es war, wenn sich Amerikaner zu Paaren aus Noahs Arche zusammentaten, rhythmische Vorspiele oder Nachspiele zum Sex aufführten oder in Mädchengruppen zusammen tanzten, niemals in Jungsgruppen, sich wanden, distanziert von den Körpern, die sie zur Schau stellten. Albaner griffen nur nach der letzten Hand in der Reihe und überließen sich der Musik.
    Lula tanzte auf der Stelle, als Alvo mit mehr Raki zurückkam. Während sie sich zuprosteten, lächelte Alvo so breit, dass sein Goldzahn sie anblitzte, nur sie. Alvo rutschte neben sie und bewegte sich leicht im Rhythmus der Musik. Als seine Hüfte die ihre streifte, hätte sie sich am liebsten wie eine Katze daran gerieben.
    Zum Glück hatten sie erst ihre doppelten Rakis auszutrinken, bevor sie sich entscheiden mussten, ob sie sich dem Tanz anschließen sollten, der, wie es das Glück wollte, gerade zu Ende ging und ihnen mehr Zeit ließ herauszufinden, was sie als Nächstes tun wollten. Ein Vorhang öffnete sich, und ein Mann in einem weißen Anzug hüpfte auf die niedrige Bühne. Sein erstes »Guten Abend« auf Englisch und Albanisch wurde mit einem Riesenapplaus begrüßt. Er wechselte fließend zwischen beiden Sprachen, bezog beide Seiten ein, die älteren Leute, die an ihrer

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