Luegen auf Albanisch
Zeke ihn nach und schaltete den Fernseher ein. Versuchte er, die Geduld seines geduldigen amerikanischen Vaters auf die Probe zu stellen? Nein, er versuchte seinen schuldbewussten amerikanischen Vater daran zu erinnern, dass seine Mutter sie am Weihnachtsabend verlassen hatte.
Um sechs, als Lula beschloss, sich allmählich für die Verabredung mit Alvo fertig zu machen, lag Zeke auf der Couch und sah das Julscheit im Fernsehen brennen, während Mister Stanley im Sessel saß und seinem Sohn beim Zuschauen zuschaute.
»Oh, seht mal, das ist wie kommunistisches Fernsehen«, sagte Lula in dem kratzig trällernden Ton, den sie immer in ihrer Stimme wahrnahm, wenn sie versuchte, die Düsternis zwischen den beiden aufzuhellen. »Der Nachrichtensprecher las uns Statistiken von den Leuten vor, die im Westen verhungerten, und an der Wand tickte eine Uhr.«
Mister Stanley fragte: »Meinst du, wir könnten uns vielleicht etwas Fesselnderes anschauen, Zeke?«
»Nein«, sagte Zeke. »Mir gefällt das. Ich finde es äußerst fesselnd.«
Mister Stanley kämpfte sichtlich darum, nicht zu fragen, und fragte dann: »Bist du von irgendwas high, Zeke?«
»Von Festtagsfreude«, sagte Zeke.
Mister Stanley bedeutete Lula, mit in die Küche zu kommen, und sagte: »Ich glaube, er vermisst seine Mom.«
»Es tut mir leid«, sagte Lula und meinte »leid tun« im mitfühlenden Sinne, aber es klang wie das entschuldigende »leid tun«. In Albanien verwendete man dafür unterschiedliche Wörter, und der Unterschied konnte über Leben und Tod entscheiden.
Mister Stanley legte die Fingerspitzen aneinander wie ein Priester. »Ehrlich gesagt, es ist eine Herausforderung, in dem Zeitpunkt, den meine Frau für ihr Verschwinden gewählt hat, nicht die Symbolik und den Groll wahrzunehmen. Ich habe Ihnen ja erzählt, dass es am Weihnachtsabend war.«
»Das haben Sie«, sagte Lula. Was für ein herzloses Ungeheuer Ginger war. Doch irgendwo in Lulas eigenem Herzen verstand sie Gingers Panik. Sie war sich sicher, oder fast sicher, dass die Gewissensbisse, die sie wegen ihres heutigen Ausgehens hatte, sofort verschwinden würden, wenn sie die Haustür hinter sich schloss.
»Ich sollte mich allmählich fertig machen«, sagte sie.
Obwohl sich Lula einredete, dass ihre Verabredung mit Alvo nichts Besonderes sein würde – wirklich, man konnte eine niedrige Erwartungshaltung nicht genug loben! –, benutzte sie nicht nur all ihre Cremes und Seifen, sondern auch jedes kostenlose Pröbchen, das sie vom ersten Tag in New York an gehortet hatte. Die winzigen Fläschchen zu öffnen und sich mit so wirkungsvollen Mitteln einzureiben, dass der Laden darauf gesetzt hatte, sie mit diesen kostbaren Tropfen zu weiteren Käufen zu veranlassen, erfüllte sie mit verwegenem Entzücken.
Lula ging nackt durchs Schlafzimmer, öffnete ihre Unterwäscheschublade und wickelte Alvos Waffe vorsichtig aus ihrem Kokon. Sie hielt die Seide in der einen, den Revolver in der anderen Hand und zögerte, als wöge sie beides gegeneinander ab, um sich zu entscheiden. Sie legte die Waffe in ein rasch zusammengeschobenes Polyesternest, schlüpfte in den Seidenslip, hakte den BH zu, ging zum Spiegel und machte sich auf einen Anblick von Hinfälligkeit und Entsetzen gefasst. Aber tatsächlich sah sie fit aus. Wie ein Mädchen! Ihr Hintern war nicht zu weit abgesackt, erstaunlich, wenn man bedachte, wie viel Zeit sie bei Mister Stanley mit Sitzen verbrachte. Einen Moment lang trat sie aus sich heraus und nahm einen anderen Blickwinkel ein, den wärmeren, bewundernderen Blickwinkel von jemandem wie … jemandem wie Alvo. Sie stellte sich vor, aus Spitzen und Seide zu schlüpfen. Die körperlichen Anzeichen des Verlangens waren unmissverständlich, selbst nach der langen Enthaltsamkeit. Wie Fahrradfahren, dachte Lula, wobei sie nie Radfahren gelernt hatte.
Lula musste sich beruhigen. Zu ihrer ersten echten Verabredung mit Alvo in höchster Erregung zu erscheinen, wäre unklug.
Angesichts dessen, dass Dunia ihr ausgeredet hatte, Geld für neue Kleider auszugeben, sollte mit »nett anziehen« besser ihr schwarzes Kleid und die Stöckelschuhe gemeint sein, die ihre Waden schmal machten, in denen sie jedoch auch tanzen konnte, wenn es sein musste. Sie hatte Make-up aufgelegt, amerikanisch dezent, aber kräftig genug, einen Albaner davon zu überzeugen, dass sie sich Mühe gegeben hatte. Selbst nachdem sie drei verschiedene Schattierungen Rouge abgewischt und sich mit der genauen Dosis
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