Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
säbelte mir einen breiten Streifen vom Kuchen ab und aß ihn, als er noch ganz heiß war. Hm, das tat gut.
So gestärkt setzte ich mich noch einmal an den Computer. Da, endlich, hieß es: Sie haben eine ungelesene E-Mail in Ihrem Postfach.
Boris hatte tatsächlich den Partnerschaftstest zurückgeschickt. Aber bevor ich dazu kam, ihn zu lesen, stürzte meine Mutter ins Zimmer, gefolgt von Jost.
»Ein Auto ist immer noch nur ein Auto, oder, Hanna?«, rief meine Mutter, und Jost rief: »Aber ein kaputtes Auto ist schlicht weniger wert als ein unversehrtes, oder, Hanna?«
Ich ahnte sogleich, was passiert war.
»Hat Philipp den Mercedes gegen den Briefkasten gesetzt?«, fragte ich.
»Möglich. Aus den Lackspuren zu urteilen, denke ich aber eher, dass es ein anderer Wagen war«, sagte Jost.
»Siehst du«, sagte Mama. »Vielleicht ist ihnen ja jemand reingefahren, und sie tragen gar keine Schuld daran. So oder so, es ist kindisch, so ein Buhei um einen leblosen Metallklumpen zu machen. Sei froh, dass den Kindern nichts passiert ist.« Sie wandte sich an mich: »Sie sind doch gesund und munter, die kleinen Strolche, oder?«
»Sie haben jedenfalls einen gesunden Schlaf«, sagte ich.
»Von wegen gesund! Das Auto stinkt nach Rauch und Hasch«, sagte Jost.
»Ein Joint hat noch niemandem geschadet«, sagte Mama. »Und du weißt sehr gut, dass Verbote nur dazu führen, das Verbotene noch reizvoller zu machen. Wenn sie noch schlafen, werden wir sie auf keinen Fall wecken, hörst du, Jost! Was soll Helena von dir denken, wenn du so ein Theater veranstaltest! Wegen eines Mercedes! Sie wird denken, wir sind keine Spur besser als ihre eigenen Eltern.«
Jost sah hilfesuchend zu mir hinüber, aber ich zuckte nur mit den Schultern. Normalerweise hätte ich ihn jetzt tatkräftig unterstützt, aber im Augenblick war mir’s nur recht, wenn sie unverrichteter Dinge wieder abzogen. Ich wollte mich ausschließlich Boris und der Auswertung des Partnerschaftstests widmen.
»Komm schon.« Mama zog Jost am Ärmel. »Wir lassen die Kinder schlafen und Hanna« – ein mitleidiger Blick auf meinen Computer – »ihre Arbeit machen. Wir sehen uns ja gleich alle zum Kaffee bei uns. Ich habe Windbeutel gemacht, Hanna, mit Sanddornsirup gesüßt. Ihr werdet begeistert sein.«
»Und die Kompostwürmer erst«, murmelte ich, aber da waren Mama und Jost schon wieder verschwunden.
Mir war ganz feierlich zumute, als ich Boris’ E-Mail öffnete. Als wäre dies ein ganz besonderer, ein schicksalhafter Moment.
Datum:
22.02. 12.23 Uhr
Empfänger:
Absender:
Betreff:
schwierige Gewässer
Als attachement kommt hier dein Psychotest ausgefüllt zurück. Ich hatte mehr praktische Fragen erwartet wie »Wo wohnst du? Was machst du beruflich? Hattest du als Kind Mumps?«, aber der Test ist sicher auch sehr aufschlussreich. Ich wohne übrigens in Köln. Keine Ahnung, wie du deinen Teil des Testes beantwortest, aber wenn ich nie mehr etwas von dir höre, nehme ich an, wir sind in der Auswertung unter die Kategorie »Mehr Frust als Lust – Sie steuern in schwierigen Gewässern« geraten. B.
Ich quiekte überrascht auf. Boris wohnte hier in Köln! Das war ja unfassbar! Möglicherweise kannten wir uns längst. Gut, die Stadt hatte über eine Million Einwohner, aber das bedeutete gar nichts. Wir konnten uns überall über den Weg gelaufen sein: In einem Restaurant, einem Geschäft oder der U-Bahn! Vielleicht waren wir zusammen in dieselbe Schule gegangen oder sogar Nachbarn!
Aber dann fiel mir ein, dass ich überhaupt keinen Boris kannte.
»Trotzdem, das kann kein Zufall sein«, sagte ich und merkte gar nicht, dass ich mich dabei anhörte wie meine Mutter. Dass Boris von allen Orten in Deutschland ausgerechnet in meinem wohnte, war statistisch gesehen unwahrscheinlicher als ein Lottogewinn.
War es möglich, dass hier eine höhere Macht am Werk war?
Bevor ich den Test auswerten konnte, musste ich ihn erst selber noch ausfüllen. Gewissenhaft machte ich mich an die Arbeit, und zwar als Johanna Rübenstrunck und nicht als Fairy33a. Das war ein gewaltiger Unterschied: So antwortete ich zum Beispiel wahrheitsgemäß auf die Frage, was ich am liebsten esse: »Eigentlich alles, am liebsten Pasta und Pizza«, obwohl die feenhaft-zarte Fairy33a wohl eher die Antwort A genommen hätte: »Edel und kalorienarm, z.B. Sushi und Salat.«
Ich war so vertieft in meinen Test (er war ungeheuer umfangreich, 20 mal 20 Fragen, Marianne hatte sich
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