Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
sagen.
»Nicht alle«, sagte Vivi.
Boris68 (flüstert) : Ich muss gehen, fairy. Am besten schickst du eine Liste mit deinen Fragen an folgende email-Adresse: Boris68@ …
00.23 Uhr Boris68 verlässt den Raum.
»Tu’s nicht«, rief ich und meinte alle beide, Boris und Vivi. Aber es war zu spät. Boris war gegangen, und Vivi würde statt mit Ohropax mit Max ins Bett gehen.
»Hanna, ich ruf dich morgen wieder an, ja?«
»Nein!«, brüllte ich, aber Vivi legte einfach auf.
6. Kapitel
M eine Mutter litt in vielen Dingen unter fataler Fehleinschätzung, die fatalste aber war zu glauben, dass sie kochen und backen könne. Sonntag für Sonntag servierte sie uns unverdrossen Vollkornwackersteine, Obstbricketts oder Bioquarkkaugummi zum Kaffee, obwohl am Ende doch immer alles auf dem Komposthaufen landete.
Schon seit Jahren hatte ich die Aufgabe übernommen, zu jedem ihrer Sonntagskuchen ein essbares Gegenstück zu backen, damit die Familie nicht verhungerte. Das tat ich auch an diesem Sonntagmittag, obwohl ich mit meinen Gedanken ganz woanders war, was beim Backen gar nicht gut ist. Beim Äpfelschälen schnitt ich mir auch prompt in den Finger.
»Mist, verdammter!« Meine Laune war denkbar gereizt. Es war eine Mischung aus prämenstruellem Syndrom, Sorgen um Vivi und um Toni, Ärger über Helena und nagende Unsicherheit wegen Boris68. Ich hatte nach längerem Überlegen den Partnerschaftstest aus der Annika eingescannt und an seine E-Mail-Adresse gesandt. Beinahe hätte ich das von meinem normalen E-Mail-Postfach aus getan, aber mir war noch rechtzeitig eingefallen, dass in diesem Fall mein richtiger Name, Johanna Rübenstrunck, im Absender erscheinen würde. Geistesgegenwärtig hatte ich mir eine weitere E-Mail-Adresse eingerichtet und hoffte nun, dass der Postbote in den nächsten Tagen ein Schreiben an eine gewisse Fairy Dreiunddreißig in den Briefkasten werfen würde. Andernfalls, sprich, wenn es niemanden mit solchem Namen unter unserer Adresse gäbe, würde der Betreiber mein neues Postfach wieder schließen. Sicherheitshalber sollte ich vielleicht noch ein Schild an den Briefkasten kleben: »Hier wohnt zur Zeit auch F. Dreiunddreißig.«
Ich beträufelte die geschälten Äpfel mit Zitronensaft, bevor ich sie in dem cremigen Teig versenkte, den ich bereits auf das Backblech gestrichen hatte. Schon ungebacken hatte er ganz köstlich geschmeckt, das hatte ich beim Ausschlecken der Rührschüssel überprüft. Ich machte immer ein bisschen mehr Teig, als ich für die Form benötigte, damit etwas zum Rohessen übrig blieb.
Der Zitronensaft brannte unangenehm in meiner Schnittwunde, und ich ging unruhig in der Küche hin und her.
Obwohl ich schon ein Dutzend Mal nachgesehen hatte, war bis jetzt keine Antwort von Boris gekommen. Vielleicht waren es einfach zu viele Fragen auf einmal gewesen? Unsicher lutschte ich an meiner Wunde. Ich hasste es zu warten.
Dabei war der Samstag ziemlich schnell vergangen: Ich hatte, wie immer samstags, den Hausputz erledigt, eingekauft, Philipps und meine Bügelwäsche erledigt und das Bett frisch überzogen. Währenddessen und dazwischen hatte ich mehrmals mit Vivi telefoniert, die einen schrecklichen Kater hatte und überhaupt keine Selbstachtung mehr, wie sie nicht müde wurde mir zu versichern.
»Das Leben ist doch wirklich Mist«, hatte sie gesagt und wieder angedeutet, wie gerne sie doch eigentlich von der Brücke stürzen wolle. Ich hatte sie aufgerichtet, so gut es mir eben möglich war, aber es lag auf der Hand, dass sie wirklich allen Grund zur Klage hatte. Und ich allen Grund zur Sorge. Aber kann man der besten Freundin ernsthaft raten, eine Psychotherapie zu machen?
Am Nachmittag war ich für ein paar Stunden mit Leander, Henriette und Finn auf den Spielplatz gegangen, damit Toni zu Hause in Ruhe die Bügelwäsche erledigen konnte. Nach eigener Auskunft häuften sich dort so viele ungebügelte Oberhemden wie in der Herrenabteilung eines Kaufhauses. Da Toni weder besonders gut noch besonders gerne bügelte, hatte ich ihr angeboten, das zu übernehmen, während sie mit den Kindern spielte, aber diesen Vorschlag hatte sie brüsk abgelehnt.
»Gönn mir doch auch mal etwas Abwechslung«, hatte sie gesagt. Als ich mit den Kindern zurückkam, weil Leander gestillt werden musste, zeigte sie stolz auf zehn gebügelte Oberhemden, um gleich darauf in Tränen auszubrechen.
»Was ist aus mir geworden, dass ich mich freue, wenn ich mal zehn Hemden gebügelt kriege?«, hatte
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