Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
Meinetwegen! Ach Carla! Seit ich abnehmen will, geht einfach alles schief!«
10. Kapitel
D ass es ein schwarzer Tag für mich werden würde, hatte das Schneckenorakel mir ja schon um halb sieben in der Frühe prophezeit, und bis jetzt hatte es Recht behalten. Vivi war wirklich sauer auf mich. Ich hatte im Laufe des Tages noch ein paarmal versucht, sie zu erreichen, aber immer nur mit dem Anrufbeantworter sprechen dürfen. Ich machte mir schwere Vorwürfe, denn ich hatte ja geahnt, dass Vivis Wecker sie im Stich lassen würde. Arme Vivi. Jetzt war sie nicht nur vom Wecker, sondern auch von ihrer besten Freundin im Stich gelassen worden. Weil die nur noch ihre Diät und einen völlig unbekannten Mann im Kopf hatte, der zufälligerweise dreihundertsiebenundneunzig Punkte in einem albernen Partnerschaftstest erreicht hatte.
Pfui über mich!
Der Rohkosttag war ebenfalls eine Katastrophe gewesen. Nach der dritten Möhre hatte ich das Gefühl, auf einem Besenstiel herumzunagen, und die in appetitliche Streifen geschnittene Paprika schmeckte nach Schwimmflossen. Ich hielt die Tortur nur durch, weil Carla wie ein Schießhund aufpasste und ich mir unter Mariannes Blicken keine Blöße geben wollte.
Auf dem Nachhauseweg machte ich einen Zwischenstopp im Supermarkt. Ich hatte zwei Einkaufslisten, eine, die Toni mir in die Redaktion gefaxt hatte, und eine weitere, die Carla aufgestellt hatte. Auf der ersten Liste standen neben Windeln, Penatencreme und Bananen lauter leckere Tiefkühlspeisen, Fertiggerichte und Süßigkeiten, auf der zweiten Liste standen die Zutaten für eine Suppe, die für die nächsten sieben Tage meine Hauptnahrungsquelle darstellen sollte. Aber ich hatte es ja nicht anders verdient! Bußfertig legte ich einen Kohlkopf, Zwiebeln, Staudensellerie und Tomaten in meinen Einkaufswagen und fuhr im Laufschritt an den Schokoküssen vorbei.
Ich hatte fest vor, eine Kolumne über meine Diät zu schreiben, aber bis jetzt war sie eigentlich überhaupt nicht komisch, im Gegenteil. In der Kassenschlange wurde ich von meinem Hungergefühl so überwältigt, dass ich beinahe Tonis Familienpackung Kinderschokolade aufgerissen hätte. Gerade noch rechtzeitig erinnerte ich mich an die Karteikarten in meiner Handtasche und zog eine davon heraus.
»Akupressur als Appetitbremse«, las ich. »Mit dem Zeigefinger fest den Hungerpunkt drücken, der sich zwischen Mund und Nase befindet.«
Nun, möglicherweise war das ja etwas für meine Kolumne. Die Leute, die mich anstarrten, wie ich meinen Hungerpunkt drückte, schienen es jedenfalls komisch zu finden.
Es war sieben Uhr abends, als ich die Einkäufe auf Tonis Küchenarbeitsplatte schob und mich staunend umschaute. Es sah aus, als habe hier ein Wirbelsturm gewütet, der Boden war flächendeckend mit Spielzeug bedeckt, und in der Spüle stapelte sich das schmutzige Geschirr. Toni sah aus, als habe sie sich heute noch nicht die Haare gekämmt, und ihr Begrüßungslächeln fiel irgendwie gequält aus.
Unsere Begrüßungsworte gingen im allgemeinen Lärm unter. Leander brüllte, weil er Hunger hatte, und Finn und Henriette brüllten, weil das Sandmännchen soeben zu Ende gegangen war und Toni den Fernseher ausgeschaltet hatte. Irgendwo auf dem Fußboden bimmelte eine Spieluhr: »Guter Mond, du gehst so stille.«
»Will aber was gucken«, brüllte Finn, und Henriette schrie: »Blöde Mama! Doofe Mama! Arsch-Mama!«
»Wääääääh«, quäkte Leander.
Toni setzte sich mit dem Baby auf den Küchentisch und knöpfte ihre Bluse auf. Das »Wäääh«-Geschrei zumindest verstummte. Übrig blieb das Geplärre von Finn und Henriette.
»Du darfst dir das nicht gefallen lassen«, sagte ich.
»Ach nein?«, fragte Toni aggressiv. »Und was soll ich deiner Meinung nach dagegen tun?«
Ich drehte mich zu den Kindern um. »Es ist Bettgehzeit«, sagte ich streng. »Ihr geht jetzt sofort nach oben, putzt euch die Zähne und zieht euch die Schlafanzüge an.«
Nichts passierte, außer dass das Geplärre noch lauter wurde.
Toni zog ironisch eine Augenbraue hoch. »Ja, und am besten macht Henriette ihrem Bruder dann auch gleich eine frische Windel. Er kann ja dafür im Gegenzug ihr Bett frisch überziehen. Da hat nämlich der verdammte Hamster reingepinkelt, der seit heute Nachmittag spurlos verschwunden ist. Na ja, nicht ganz spurlos, natürlich. Er hat ja vorher noch ins Bett gepinkelt.«
Ich musste zugeben, dass die Sache nicht so einfach war, wie sie auf den ersten Blick ausgesehen
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