Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
hatte.
»Wo ist eigentlich Justus?«, fragte ich. »Ich finde, zumindest am Abend könnte er hier sein und seinen Teil zum Familienleben beisteuern.«
Toni stieß ein höhnisches Lachen aus. »Stell dir mal vor, das finde ich auch. Aber Justus sagt, damit wir überhaupt ein Familienleben haben, muss er eben Überstunden machen.«
»Toni? Wann wusstest du eigentlich, dass Justus der Richtige für dich war?«
»Na ja«, sagte Toni. »Als ich schwanger war und mir gar nichts anderes übrig blieb, als ihn zu heiraten, vermutlich.«
»Ich meine es ernst. Du musst es doch schon vorher gewusst haben, oder? Ich meine, bevor du mit ihm …?«
»Ja, gut möglich, dass ich ihn schon vorher für den Richtigen hielt«, sagte Toni. »Mondschein, ein paar Gläser Wein … Aber weißt du, dieses Gefühl verflüchtigt sich ziemlich schnell wieder. Henriette! Finger weg von der Zimmerlinde! Die ist neu und hat ein Vermögen gekostet.« Zu mir gewandt setzte sie hinzu: »Soll laut Feng Shui den Energiefluss in diesem Raum verbessern, sagt Mama. Na ja, lange wird sie wahrscheinlich nicht überleben, aber es war einen Versuch wert.«
»Ich glaube, eine Putzfrau würde das Raumklima noch mehr verbessern«, sagte ich.
»Ja, aber Justus will keine Putzfrau. Er sagt, er findet die Vorstellung unangenehm, dass andere Leute seinen Dreck wegmachen müssen.« Toni seufzte. Leander hatte seine Mahlzeit beendet (er war ein Schnellttrinker, das war sein Überlebenstrieb, den er bei seinen zwei älteren Geschwistern auch dringend benötigte), und Toni drückte ihn mir in die Arme.
»Achtung, wenn er sein Bäuerchen macht. Finn hat ihm heute morgen ein Stückchen Mandarine in den Mund geschoben, und es ist bis jetzt noch nicht wieder rausgekommen.« Sie drehte sich einmal um sich selbst. »Hast du jemals ein schrecklicheres Chaos gesehen, mich eingeschlossen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Das kriegen wir schon wieder hin. Du bringst jetzt die Großen ins Bett, und ich mache hier unten Ordnung und klopfe Leander das Bäuerchen aus dem Bauch. Hast du eigentlich schon angefangen, Milch abzupumpen?«
»Literweise«, sagte Toni. »Aber können wir nicht tauschen? Ich mache hier Ordnung, und du bringst die Kinder ins Bett?«
»Von mir aus«, sagte ich. Aber die Kinder wollten lieber von ihrer »blöden Arsch-Mama« ins Bett gebracht werden. Nach dem Geschrei zu urteilen, das aus dem obersten Stockwerk drang, hatte ich mit dem Saubermachen die angenehmere Arbeit erwischt. Ich wartete Leanders Bäuerchen ab (die Mandarine kam wieder nicht mit), legte ihn in sein Hängekörbchen und begann aufzuräumen. Es kann eine durchaus befriedigende Sache sein sauber zu machen, wenn jeder Handgriff eine Verbesserung bedeutet. Ich räumte die Bilderbücher ins Regal, sortierte das Spielzeug in Kisten, kratzte den Dreck vom Esstisch und von Finns Kinderstühlchen, räumte die Spülmaschine ein und stellte sie an, spülte per Hand vier verkrustete Töpfe (alle mit Spinat), wischte die Arbeitsplatte feucht ab und polierte das Cerankochfeld. Weil von oben immer noch Gebrüll ertönte und auch Leander in seinem Körbchen noch vor sich hinquasselte, holte ich den Staubsauger aus der Kammer, saugte mehrere Kilogramm zerdrückte Butterkekse vom Sofa und vom Fußboden und kratzte mit dem blanken Rohr Mamas versteinerten Bulgureintopf von der Decke. Die Wirkung war frappierend, und das Ganze hatte einen äußerst angenehmen Nebeneffekt: Meine Pulsuhr zeigte hundertzweiundzwanzig Schläge pro Minute an.
Als ich den Staubsauger zurück in die Kammer gestellt hatte und gerade mit dem Putzen beginnen wollte (ein Großteil des Drecks war eine dauerhafte Verbindung mit dem Parkett und den Fliesen eingegangen und hatte sich nicht wegsaugen lassen), klingelte mein Handy.
»Und? Wie war das Laufen?«, fragte Carla.
»Oh, das Laufen! Also, bis jetzt bin ich noch nicht dazu gekommen, aber mein Puls …«
»Hanna! Du alte Rübe! Keine Ausreden! Du ziehst dir jetzt sofort deine Turnschuhe an und joggst um den Block. Woggen reicht auch, solange dein Puls nur über hundertzwanzig ist!«
»Aber …«
»Nicht aber!«, rief Carla streng. »Du willst dir doch heute keine Wolken in den Kalender malen, oder?«
Nein, das wollte ich natürlich nicht. Herrje! Wolken im Kalender, wie sollte ich das nur überleben?
Ich seufzte. »Es ist schon dunkel, Carla!«
»Das macht überhaupt nichts«, sagte Carla. »Es gibt ja schließlich Straßenlaternen.«
»Aber ich muss noch diese
Weitere Kostenlose Bücher