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Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)

Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)

Titel: Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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so gewesen, ey.«
    »Ja, ey, beeindruckend, ey«, sagte ich. Schwere Kindheit! Na klar, wahrscheinlich hatten Helenas Eltern darauf bestanden, dass sie sich regelmäßig wusch.
    »Hast du was zu Essen mitgebracht, Hannilien?«, fragte Philipp.
    »Sicher«, sagte ich. »Leckeren Kohl, gesunde Zwiebeln, schmackhaften Staudensellerie … – ich mach da ein leckeres Süppchen draus, ganz ohne Salz. Da darfst du gerne was von abhaben.«
    Philipp seufzte. »Ich fand dich viel netter, bevor du auf die hirnverbrannte Idee kamst abzunehmen.«
    »Du findest das hirnverbrannt?« Etwas wie Hoffnung keimte in mir auf.
    »Allerdings! Ich mag dich, wie du bist«, sagte Philipp mit Nachdruck. »Dick und patent! Ich hab doch schon zwei chaotische, dünne Schwestern, da brauch ich doch nicht noch eine dritte davon.«
    Bis zu diesem Augenblick hatte ich zugegebenermaßen noch mit dem Gedanken gespielt, das abendliche Jogging ausfallen zu lassen, aber nach diesen Worten eilte ich stumm zu meinen Turnschuhen.
    Dick und patent! Dick und patent! Im Rhythmus dieser schrecklichsten aller Beleidigungen joggte ich die Einfahrt hinunter.
    Eine Weinbergschnecke kreuzte meinen Weg, und auf ihrem Rücken stand »heart« geschrieben. Ich sah auf meine Pulsuhr: Mein »heart« klopfte mit hundertsiebenundsechzig Schlägen pro Minute, die Uhr piepste sich die Seele aus dem Leib. So wurde das nie etwas. An der Straßenlaterne, an der ich schon am Morgen Halt gemacht hatte, blieb ich auch diesmal wieder stehen.
    »Mindestens eine halbe Stunde im Fettverbrennungsbereich trainieren«, hatte Carla mir eingeschärft, und ich war gerade mal zwei Minuten unterwegs. Wenn man die Zeit mitrechnete, die ich gebraucht hatte, die Turnschuhe anzuziehen. Ich konnte also auf keinen Fall schon wieder nach Hause zurückkehren.
    Keuchend wartete ich, bis der Puls auf hundertzwanzig zurückgegangen war, dann setzte ich mich erneut in Bewegung, diesmal kaum schneller als eine Weinbergschnecke. Im Zeitlupentempo trabte ich die dunkle Straße hinunter, bog in die Nebenstraße ein und atmete dabei so ruhig ein und aus, wie ich konnte. Es funktionierte: Der Puls blieb konstant bei hundertfünfundzwanzig Schlägen pro Minute.
    Dies war das erste Erfolgserlebnis des Tages. Ich spürte förmlich, wie mein Körper mit der Fettverbrennung begann, und hoffte sehr, dass er an meinem Hintern damit anfangen würde.
    Im Schneckentempo bog ich um eine dichte Hecke, und das war gut so, denn wäre ich schneller gewesen, wäre ich gegen einen anderen nächtlichen Jogger und seinen Hund geprallt, die urplötzlich aus einem Hauseingang kamen.
    Der Hund war ein Golden Retriever.
    Der Jogger war Birnbaum.
    »Nanu, Johanna!«, sagte er. »Das ist aber ein lustiger Zufall.«
    »Hiiiääääh«, japste ich. Ein Zufall war das ganz sicher, aber – lustig? Nein, das konnte ich beim besten Willen nicht finden. Carlas Pulsuhr gab schrille Alarmtöne von sich, obwohl ich stocksteif stehen geblieben war.
    »Wohnen Sie hier in der Nähe?« fragte Birnbaum.
    »Japs«, sagte ich. »Und Sie?«
    Birnbaum zeigte auf das Haus hinter sich. »Meine Wohnung ist im zweiten Stock. Aber lassen Sie sich doch von mir nicht vom Laufen abhalten. Jakob und ich werden Sie einfach ein Stückchen begleiten, wenn Sie nichts dagegen haben. Wir joggen jeden Abend.«
    Ich hatte sehr wohl etwas dagegen, und die Pulsuhr auch. Sie piepste immer noch wie verrückt, als ich mich wieder in Bewegung setzte. Aber wohl oder übel passte ich meine Schritte an Birnbaums Tempo an. Er lief in etwa so schnell wie ein Achthundert-Meter-Läufer im Endspurt. Seinem Hund war das noch nicht schnell genug. Er zerrte an der Leine.
    »Erst, wenn wir im Park sind, Jakob«, sagte Birnbaum zu ihm. »Sie laufen doch auch in den Park, Johanna?«
    »Hiiiiäääh, nein, da war ich hiäääääschon«, brachte ich so deutlich es mir unter diesen Umständen möglich war, hervor. »Iiiiiäääch bin auf dem Häääääimweg.«
    »Schade«, sagte Birnbaum. »Ich hätte gerne etwas Gesellschaft gehabt. Jakob ist nämlich nicht sehr gesprächig, vor allem abends nicht. Was ist das?«
    Es war die Pulsuhr. Sie erlitt gerade eine Art elektronischen Kollaps. Verzweifelt hielt ich nach einer Straße Ausschau, in die ich abbiegen konnte, um in Ruhe zu sterben.
    Birnbaum war ganz offensichtlich gut trainiert. Er konnte laufen und dabei mühelos plaudern. »Ich mache mir ein wenig Sorgen um die Stimmung in der Redaktion. Heute hat sich Anne Klostermann darüber

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