Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
bingen.«
»Bestimmt«, sagte ich, und wenigstens Henriette freute sich.
»Du kannst noch nicht gehen«, sagte Toni. »Du hast mir noch gar nichts von deinem neuen Chefredakteur erzählt.«
»Das mach ich dann morgen«, versprach ich.
»Aus dem Weg«, schrie Finn, der wieder auf seinem Bobbycar Platz genommen hatte.
Ich gab ihnen allen ein Küsschen. »Macht’s gut, ihr Süßen, und seid lieb zu eurer Mama.«
»Gott, was würde ich darum geben, mit dir zu tauschen«, sagte Toni.
»Dann könntest du deine Patricia-Pepe-Hose aber vergessen«, erwiderte ich, mich rückwärts vom Schauplatz entfernend. »Die würde ich nämlich nicht mal über die Oberschenkel kriegen.«
»Das wäre mir egal«, beteuerte Toni und rannte hinter ihren Kindern her.
»Hey, Schätzchen! Vergiss den Kinderwagen nicht!« rief ich.
Toni schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und kam noch mal zurück. Wie gesagt, sie war absolut beneidenswert, aber zu diesem Zeitpunkt meines Lebens wollte ich nun mal mit niemandem tauschen, auch nicht mit jemandem, der mühelos in Größe 36 passte.
Es sollten allerdings noch andere Zeiten kommen. Und zwar schneller als mir lieb war.
3. Kapitel
N a, Mädels, wie viele Männer habt ihr denn in dieser Woche an Land gezogen?«, fragte Carla mit Bühnenlautstärke, kaum dass wir uns auf den Hockern in der Sushibar niedergelassen hatten.
Wie immer wurden wir alle mehr oder weniger rot, und Vivi zischte wütend: »Du hast doch versprochen, dass du damit aufhörst!«
»Ich habe nur versprochen, mich weniger drastisch auszudrücken«, sagte Carla unschuldig. In der vorletzten Woche hatte sie nämlich zur gleichen Zeit an einem anderen Ort (den wir nun auf immer meiden müssen) gebrüllt: »Na Mädels, mal ehrlich, hattet ihr in dieser Woche einen guten Fick? Und mit gut meine ich wirklich gut!«
Carla sah uns gern wie die vier Freundinnen aus »Sex and the City« – gut aussehend, beruflich erfolgreich und mit dem aufregendsten, abwechslungsreichsten und lustigsten Sexualleben ausgestattet, das Drehbuchautoren sich ausdenken können. Der Vergleich hinkte leider schwer. Unser aller Sexualleben war eher dürftig, beruflich waren wir gar nicht (Vivi und Sonja) bis mäßig (Carla und ich) erfolgreich, und gut aussehend – nun ja, das ist relativ. Vivi war mit ihrem Rosenteint und ihren hellen Haaren sicher sehr hübsch, wenn man diesen zierlichen Typ mag, bei dem man immer fürchtet, der Kopf sei zu schwer für den Rest des Körpers. Sonja sah aus wie Barbra Streisand in jungen Jahren, und wir alle wissen, dass sich bei Barbra Streisand die Welt in zwei Lager teilt: das eine, das sie anbetet, das andere, das sie gräßlich findet. Sonja jedenfalls trug ihre große Nase so hoch es eben ging. Das selbe machte ich mit meinem dicken Hinterteil. Es ist ein offenes Geheimnis: Je selbstbewußter man seine Mängel der Umwelt präsentiert, je weniger werden sie als solche wahrgenommen. Was meine roten Haare und die Sommersprossen anging – auch die waren Geschmackssache. Carla schließlich hatte ich immer für unbestritten gut aussehend gehalten, bis ich sie eines Morgens mal ohne Make-up und ohne Frisur antraf. Da endlich verstand ich, warum sie es sich zum Prinzip gemacht hatte, niemals neben einem Mann aufzuwachen.
»Was gleichbedeutend ist mit dem Prinzip, niemals neben einem Mann einzuschlafen«, pflegte sie zu sagen und dabei zu seufzen. Carla war mit fast fünfunddreißig die Älteste von uns, und sie machte kein Geheimnis daraus, dass sie sich nur zu gerne auf ewig und immer an einen Mann binden wollte. »Ab einem bestimmten Alter ist das Singledasein wie eine Krankheit«, sagte sie. »Du kannst zwar alt damit werden, aber die Schmerzen werden immer schlimmer, und du weißt genau, wenn du nichts dagegen tust, wirst du daran sterben. Einsam und allein.«
Was für ein haarsträubender Unsinn. Aber Carla redete häufig haarsträubenden Unsinn.
»Außerdem ist es irgendwann eine Sinnfrage«, sagte sie zum Beispiel. »Wozu bin ich auf der Welt? Wozu sind Singles wie ich überhaupt gut? Wem nutzen sie? Eigentlich gehöre ich ganz oben auf eine Liste für Menschen, die die Welt nicht braucht. Noch vor Überraschungsfigurensammler und Dieter Bohlen.«
Carla führte eine Menge eigenartiger Listen, das war eine ihrer Marotten. Es gab Listen mit Ländern, die sie auf keinen Fall bereisen wollte, Listen mit Männern, die leider verheiratet waren, Listen mit Männern die Gott sei Dank verheiratet
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