Lügen haben hübsche Beine
und sofort hinein gelassen wurde, sah sie sich unschlüssig um.
Überall war hektische Betriebsamkeit, und sie wusste nicht so recht, wo sie anfangen sollte. Offenbar hatte das Casting schon begonnen, denn ab und an kamen Mädchen an ihr vorbei, die sich entweder vor Freude überschlugen oder hysterisch heulten.
Neugierig ging sie die Gänge entlang, bis sie irgendwann einen Raum erreichte, der nach der Umkleidekabine der Models aussah.
»Also gut«, dachte sie genervt, »dann rein in die Höhle des Löwen.«
Jill quetschte sich an ein paar heulenden Mädchen vorbei und schaute sich staunend um. Etliche junge Frauen sprangen wild durcheinander, manche halbnackt und im Umziehen begriffen, einige völlig aufgelöst auf der Suche nach passenden Schuhen oder Accessoires. Wiederum andere saßen vor großen Spiegeln, legten Make-up auf oder versuchten ihre Haare zu irgendwelchen grotesken Frisuren zu formen. Dazwischen eilten Assistenten herum, verteilten Nummern, gaben Anweisungen und bemühten sich, das Chaos unter Kontrolle zu behalten.
Kopfschüttelnd blieb Jill stehen und beobachtete, was sich hier abspielte, als plötzlich eine der Assistentinnen auf sie zuschoss und ihr ein Kleid in die Hand drückte.
»Nummer 132, los umziehen, du bist gleich dran!«
»Aber … aber …«, stotterte Jill verwirrt, »Das ist ein Irrtum, ich …«
»Jetzt mach voran Schätzchen, wir haben nicht ewig Zeit«, unterbrach die ältere Frau sie vehement, und riss ihr förmlich die Bluse vom Leib.
»Nein, ich …«
»Sei nicht so zimperlich, das kannst du dir gleich abgewöhnen«, fuhr die Assistentin sie an, und zerrte ihr das Kleid über den Kopf, zog es zurecht und schloss den Reißverschluss.
»Los jetzt, die Jeans aus und ab nach draußen.«
Jill merkte, dass sie gegen diese Frau keine Chance hatte, wenn sie nicht unnötig Aufsehen erregen wollte, also fügte sie sich resigniert in ihr Schicksal.
Wenige Sekunden später wurden ihre Füße in ein Paar passende Schuhe gestopft und sie bekam ein Schild mit der Nummer 132 an die Brust geheftet. Danach wurde sie durch eine Tür in einen Nebenraum geschoben.
Dann ging alles so schnell, dass Jill kaum noch etwas mitbekam. Mehrere Mädchen standen in einer Reihe neben einem großen Vorhang, und ein weiterer Assistent schob eine nach der anderen dahinter.
»Hören Sie«, wandte Jill sich verzweifelt an den Mann, »ich …«
»132!«, rief in diesem Moment eine Stimme jenseits des Vorhangs und Jill bekam einen Schubs.
Sie stolperte vorwärts, und blinzelte eine Sekunde später in das unbarmherzig grelle Licht der Scheinwerfer.
3
W ie angenagelt stand Jill da, versuchte irgendetwas zu erkennen, doch die gleißende Helligkeit blendete sie zu sehr. Der Raum lag völlig im Dunkeln, lediglich der vor ihr liegende Laufsteg war von den Scheinwerfern in ein weißliches Licht getaucht.
»Lauf!«, zischte eine Stimme hinter ihr, und unsicher stöckelte sie ein paar Schritte nach vorne.
»Wird das heute noch was?«, schrillte eine Frauenstimme irgendwo vor ihr aus der Schwärze des Saals und übertönte das leise Summen der Kameras. »Willst du da Wurzeln schlagen?«
Hilflos setzte Jill sich wieder in Bewegung, stakste wenig graziös auf den Stilettos mit den ungewohnt hohen Absätzen langsam vorwärts. Konzentriert bemühte sie sich darum, nicht auszurutschen, was angesichts des spiegelglatten Bodens keine leichte Aufgabe war.
Ein paar Mal geriet sie bedrohlich ins Wanken, aber irgendwann hatte sie es schließlich geschafft, das Ende des Podests zu erreichen. Erleichtert blieb sie stehen, zwinkerte angestrengt in die Dunkelheit.
»Ein bisschen alt, oder?«, hörte sie eine Männerstimme.
Die Frau schrillte wieder los. »Jetzt steh doch nicht da wie ein Klotz, beweg dich, dreh dich mal um!«
Völlig entnervt folgte Jill dieser Aufforderung, verlor bei der Drehung fast das Gleichgewicht, konnte sich gerade noch abfangen.
»Das ist ja unmöglich«, quäkte es erneut, und Jill war inzwischen klar, dass es sich vermutlich um Harriet Grumb handelte.
»Ich weiß nicht, ich finde sie hat etwas«, erklang die amüsierte Stimme eines anderen Mannes.
»Ja, hässlich ist sie nicht, und ihre Figur ist auch super«, sagte der Erste wieder.
Jill kam sich vor wie ein Stück Fleisch in der Theke beim Metzger um die Ecke. Am liebsten hätte sie die Schuhe ausgezogen und nach vorne in die Dunkelheit geworfen, in der Hoffnung, zumindest einem der Jurymitglieder damit eine tödliche Stichwunde zuzufügen. Doch
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