Lügen haben rote Haare
also ganz entspannt Wiedersehen feiern.«
Paul lacht. »Warum die ganzen Umstände, Möhrchen? Du könntest, wenn alle schlafen, mit Bert einen Zimmertausch vornehmen. Du denkst viel zu kompliziert.«
Ich werde noch wütender, denn darauf hätte ich auch selber kommen können. Ich blaffe ihn an. »Nenn mich nicht Möhrchen.«
»Okay, Möhrchen.« Mit großer Gelassenheit dreht er sich Richtung Zimmertür. »Ich geh’ dann schon mal vor.« Er stoppt noch einmal kurz. Da er mit dem Rücken zu mir gewandt steht, kann ich in seinem Gesicht nicht lesen. »Sag mal, wissen deine Eltern eigentlich, dass du schwanger bist und gedenkst, diesen Machungwa zu heiraten?«
Mir bleibt die Luft weg, mein Mund ist von einer zur anderen Sekunde staubtrocken. Eine zweideutige Bemerkung im Beisein meiner Familie … Ich darf gar nicht daran denken. Mit einem Hustenanfall durchbreche ich die knisternde Spannung, die in dem kleinen Zimmer liegt. Meine Kehle ist wie zugeschnürt.
»IschbinnischwundiheirMachni.«
»Bitte? Was sagtest du?« Paul dreht sich um, ein verhaltenes Grinsen umspielt seine Mundwinkel. »Ich habe kein Wort verstanden, nicht ein einziges Wort!«
Ich wiederhole das Gestammel noch einmal, und nach einem erneuten »Ich verstehe kein Wort« von Paul räuspere ich mich und sage in aller Deutlichkeit: »Ich bin nicht schwanger und ich werde Machungwa nicht heiraten.« Instinktiv weiche ich zurück, als Paul mit langsamen Schritten auf mich zukommt.
»Du hast gelogen?«
Ich halte seinem Blick trotzig stand. »Na und? Jeder lügt mal im Leben. Jeder. Du lebst auf dem falschen Planeten, Herr Geiger. Hier leben Menschen. Menschen, verstehst du? Und Menschen lügen halt ab und an. Wenn der liebe Gott nicht gewollt hätte, dass Menschen lügen, hätte er die Lüge nicht erfunden. Ich werde zur Beichte gehen und büßen, wenn wir zurück in Hamburg sind, okay?« Meine Antwort fällt hitziger aus als beabsichtigt.
»Aaah.« Paul lacht verhalten. »Ich verstehe. Aber du weißt schon, dass wir hier oben auf dem Berg dem lieben Gott ein Stückchen näher sind, nicht wahr? Also warum nicht direkt vor Ort büßen? Morgen früh, Frau van Goch, um Punkt 9 Uhr gehen wir gemeinsam den Gang nach Canossa.« Er zeigt aus dem Fenster auf den schroffen Gipfel des Steingiganten. »Der Breitenberg wartet auf uns.«
Vor Wut schlage ich mit einer Hand auf den Bettpfosten und verkneife mir ein »Aua«, weil ich mir dabei arg wehgetan habe. »Pah, als wenn mir dieser doofe Pipiberg Angst machen würde.« Meine Arme verschränken sich von alleine vor meiner Brust. Paul nickt mir kurz zu; ich sehe, dass er knapp vor einem Lachanfall steht.
Jetzt bin ich dran. »Was war mit der Fidschi-Tante? Bruni hat dich mit ihr gesehen. Was hattest du mit ihr?«
Er wird ein wenig blass, hat sich jedoch sofort wieder im Griff. »Nichts war mit ihr. Nichts. Wir haben lediglich einen Kaffee zusammen getrunken, mehr nicht.« Mit drei großen Schritten verlässt er die Kammer.
Mit aller Kraft verdränge ich den unbändigen Wunsch, mich wie eine ungezogene Göre hysterisch schreiend und strampelnd auf den Boden zu werfen. So ein hundsgemeiner Paul. Ein wahrer Kavalier stößt eine Frau nicht in die Grube, die sie sich selbst gegraben hat. Ein wahrer Kavalier würde eine Leiter in die Grube stellen. Ich atme tief durch und zwinge mich zur Ruhe. Mit dreißig schnellen Kniebeugen baue ich aufgestautes Adrenalin ab.
Nach einer kurzen Make-up-Auffrischung begebe ich mich zu den anderen. Meinen Missmut werde ich mir auf gar keinen Fall anmerken lassen.
Vroni hat den großen Holztisch vor dem Haus mit einem rustikal-blauen Service wunderschön gedeckt. Ein großer Almwiesenblumenstrauß, der mittig auf dem Tisch steht, duftet so herrlich, dass ich am liebsten mein Gesicht darin vergraben würde. Hanni und Nanni spielen auf der Wiese mit einem flinken Hund, der auf den Namen Peppi hört. Den Kindern macht es Spaß, ihm Befehle wie »Sitz« und »Lauf« zu erteilen, denen er sich schwanzwedelnd beugt. Meine Mutter lässt es sich nicht nehmen, Vroni beim Servieren der Speisen zu helfen. Ein himmlischer Bratenduft schwebt in der Luft, der selbst die Zwillinge vom Spielen lockt. Peppi trottet hinterher und legt sich brav unter eine Bank, die neben dem Hauseingang steht. Er verfolgt aufmerksam jede Bewegung, die Vroni macht.
Paul hat seinen ›Launematen‹ auf Mundwinkel-nach-oben und Dauergrinsen gestellt. »Na, warte ab, Peppino, für dich fällt später auch noch
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