Lügen haben rote Haare
kräftig Gas, dass meine Mutter ihren Hut festhalten muss. Wir werden regelrecht in die Sitze gepresst, ein kleiner Vorgeschmack auf den Flug.
Anton chauffiert Conny und die Kinder hinterher.
Am Flughafen empfängt uns eine nette Dame vom Deutschen Roten Kreuz, die mit einem Rollstuhl bereits auf Gundula wartet. Opa Heini klopft Paul anerkennend auf die Schulter. Dieses Organisationstalent habe Lob verdient. Die Abfertigung am Flughafenschalter geht so flott vonstatten, dass wir zwanzig Minuten vor Abflug im Flieger sitzen. Unsere bunte Gruppe fällt in den Massen der Anzugträger auf, die geschäftig in Unterlagen wühlen oder vor Abflug mit einem Tablet hantieren. Meine Eltern setzen sich jeweils neben eine ihrer Enkeltöchter, Conny sitzt neben einer Dame im Business-Kostüm. Opa Heini und Gundula, die vor Paul und mir Platz genommen haben, recken aufgeregt die Hälse Richtung Fenster.
Paul möchte mir sehr gerne den Fensterplatz überlassen, was ich jedoch sehr gerne ablehne. In meinem Handgepäck fische ich nach der Pillenpackung und drücke drei von den weißen Glücksdragees heraus. Wenn ich nicht am Fenster sitze, leide ich nicht unter Flugangst; dennoch, eine weitere Dosis kann nicht schaden. Die Berge kommen immer näher. Paul wirft einen Blick auf die Packung und schaut mich verständnisvoll an.
»Flugangst?«
Ich nicke. Soll er ruhig glauben, dass ich Flugangst habe. Er greift in seine Tasche und holt ein kleines Pillendöschen hervor. »Hier, nimm die, die wirkt Wunder.«
Zaghaft schlucke ich eine von den kleinen grünen Tabletten; Paul greift nach mir beherzt zu. Entspannt lehne ich mich zurück.
Nach exakt einer Stunde und vierzig Minuten landet die Maschine in Memmingen. Nach dem Auschecken nehmen wir die letzte Etappe in Angriff. Mit zwei Taxis geht’s ab, immer geradeaus nach Bad Hindelang. Ich muss zugeben, dass mir die Steingiganten von unten recht gut gefallen, teilweise sind sie mit üppigem Nadelgehölz bewachsen. Würziger Tannenduft weht durch das einen Spalt breit geöffnete Autofenster. Tief atme ich die herrliche Luft ein. Wie Paul angekündigt hatte, wartet am großen Parkplatz vor der Kurverwaltung ein urbayrischer Typ in einem alten VW-Bus auf uns. Ein älterer vollbärtiger Hüne von Mann steigt aus dem Auto, er klopft Paul mit seinen großen, schwieligen Händen auf den Rücken.
Die Kinder verstecken sich hinter Conny und weigern sich, dem Riesen die Hand zu reichen.
Der kratzt sich verlegen am Kopf. »Des gangad ma grad no ab. Die Kinda sans jo angstig vor mei Abortdeckeln. I bin do bloß der Kaufmanns-Toni.« Dann lacht er schallend und klopft sich auf die Wildlederhose.
Paul übersetzt Tonis Allgäuer Kauderwelsch. »Toni meint, das fehle ihm gerade noch, dass die Kinder Angst vor seinen Händen hätten, die so groß sind wie Toilettendeckel.«
Darüber lachen die Kinder, derartige Witze gefallen ihnen. Wir Erwachsenen sind nicht ›angstig‹ und stellen uns nacheinander vor. Paul erklärt uns, dass der Kaufmanns-Toni ein Gehilfe auf der Alm sei, zu der wir gleich fahren würden. Toni bemüht sich, hochdeutsch zu reden.
Dabei betont er langsam jede Silbe. »Es freut mich, dass ihr da seid. So, jetzt geht es auffi.«
Äußerst behutsam hilft Toni Gundula in den Wagen; Opa Heini vollzieht einige kleine Kniebeugen, breitet die Arme weit aus und holt tief Luft. Er schickt meinem Vater einen strafenden Blick. » Das nennt man gute Luft, Hermann. Nicht so stickig wie in deinem Garten …«
Mein Vater begibt sich grinsend auf den Rücksitz des Fahrzeugs. »Vater, für die Luftqualität in Sülldorf bin ich nun wirklich nicht der richtige Ansprechpartner.«
Die Zwillinge haben eine Bergbahn entdeckt, mit der sie heute Abend noch fahren wollen. Conny, die ein wenig blass ist, verspricht ihnen für den morgigen Tag einen schönen Ausflug. Ungeduldig schiebt sie die Kinder in den VW-Bus. Immer wieder schaut sie auf die Uhr. Ich ahne, dass sie in Gedanken bei Anton ist.
Toni fährt in einem so rasanten Tempo, dass meine Mutter und Gundula ebenfalls erblassen. Nach einer kurzen Fahrt im Tal nimmt Toni Kurs auf einen schmaleren Weg, der stetig steil nach oben ansteigt. Mal durch dichte Wälder, mal auf freien Strecken quält sich das alte Auto voran. Mit jeder Kurve gewinnen wir an Höhenmetern, die Häuser im Tal werden immer winziger. Ich bete, dass der Almfuzzi den Wagen in der Spur halten kann; wenn wir hier runterfielen, wäre Ende im Gelände. Toni und Paul schwätzen in
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