Lügen haben rote Haare
wie es geht.
»Hallo Ulrike. Wie viel Kohle heizt deine Skimütze jetzt auf?« Bruni bemüht sich, ihrer Stimme einen neutralen Klang zu geben.
Heike antwortet. »Satte siebenhundertzwanzig Euro!«
Ulrike nickt zustimmend. »Ja, Tendenz steigend. Ich habe noch immer nicht alle abgeklappert. Morgen frage ich die Kollegen aus der Produktion.«
Ich gebe insgeheim zu, dass es sich um eine nicht zu verachtende Summe Geld handelt, aber das Risiko, als Einbrecher in Geigers Haus erwischt zu werden? Ich mag gar nicht daran denken. Ohne mich! Aus der Nummer halte ich mich definitiv raus. Abrupt stehe ich auf, raffe mein Essbesteck nebst Teller zusammen, dass es nur so scheppert. Nichts wie weg hier.
»Kriegt die van Goch ihre Tage oder warum ist die so gereizt?« Ulrike ahnt natürlich nicht, welche Gedanken in meinem Kopf kreisen.
Bruni holt mich auf dem Flur ein, den ich mit schnellen Schritten entlang laufe.
»Hör auf«, würge ich sie mit erhobenen Händen ab, bevor sie weiter auf mich einreden kann. »Ich werde einen Teufel tun, in eine Villa einzubrechen! Und schon gar nicht in die meines Chefs.«
»Du hast es immer noch nicht kapiert«, meckert Bruni. »Eine Tür aufschließen bezeichnet man nicht als Einbruch.«
Wenn Bruni sich einmal in eine Idee festgebissen hat, dann lässt sie nicht mehr locker. So verbringt sie den Rest des Arbeitstages damit, mal mit Heiner zu flirten, mal mich von der Grandiosität ihres Planes zu überzeugen. Das Schlimme daran ist, dass sie mich kurz vor dem ersehnten Feierabend von ihrer Idee vollkommen überzeugt hat. Schlüssel leihen, Tür aufschließen, ein wenig Recherche. Einen Beweis Richtung schwul finden, ab nach Hause, Geld kassieren.
Ich schalte mein Handy ein und freue mich über die SMS meiner Mutter, dass mein Auto repariert auf mich warten würde.
Morgen ist die Beerdigung. Ich schlage Frau Piefke vor, dass ich sie um 9 Uhr abhole. Sie äußerte schon mehrfach, nicht in der Lage zu sein, an diesem schweren Tag ein Auto zu lenken. Bruni bleibt noch im Büro, mit einem Augenzwinkern wünsche ich ihr viel Spaß.
Zu Hause im Wintergarten treffe ich lediglich Opa Heini an. Er scheint die Ruhe zu genießen. Auf der Wachstuchtischdecke, die ebenso mit einer grauen Masse bekleckert ist wie sein Gesicht, stehen verschiedene leere Blechdosen ohne Etiketten, die er je ein Drittel mit der dickflüssigen Pampe aus einem kleinen Eimer füllt.
»Deine Eltern sind mit den Rädern unterwegs. Müssten aber gleich wieder da sein. Die ›trächtige Kuh‹ hat sich heute noch nicht hier blicken lassen.«
Er arbeitet voll konzentriert weiter, während ich ihn sanft wegen der ›trächtigen Kuh‹ tadele. Im Grunde weiß ich aber, dass er solche Bemerkungen nicht wirklich böse meint.
Ich hole mir aus der Küche ein Mineralwasser und setze mich wieder zu meinem Großvater, der leise vor sich hin pfeift.
»Dein Auto steht in der Garage, Karo. Fast wie neu. Ich soll es zwar nicht verraten, mache ich aber trotzdem. Die Reparatur kostet dich keinen Cent. Der Meister hat einen Auspuff vom Schrottplatz eingebaut, der noch wie neu war. Und den Arbeitslohn hat er nicht berechnet, weil dein Vater ihm auch schon so viele Gefallen getan hat.«
Darüber freue ich mich natürlich wahnsinnig und verspreche Opa, die Unwissende zu spielen. Wieder füllt er eine Dose mit der zähen Masse.
»Was bastelst du denn Schönes, Opa?«
Er kichert leise. »Ich bastele für Dustin.«
»Für Dustin Hülsmann, den frechen Enkelpanz von der Frau Hübner? Aber … den kannst du doch nicht leiden. Weshalb bastelst du dann etwas für ihn?«
Opa dreht seinen Kopf und tippt mit dem Zeigefinger auf ein großes Pflaster an seinem Hinterkopf.
»Den kann ich jetzt noch weniger leiden. Er hat mich verletzt … genau hier. Hat mir eine Blechdose an den Kopf geschossen. Der kramt aus unserem Müll ständig Blechdosen heraus und kickt sie mit voller Wucht durch die Gegend. Heute früh hat er mich heimtückisch von hinten attackiert, der freche Bengel.«
Ich kann sehr gut verstehen, dass Opa Dustin nun noch weniger mag. Dieses zehnjährige ungezogene Kind ist vielen Bewohnern in der Birkenstraße ein Dorn im Auge.
»Und jetzt willst du zurückschießen?«, frage ich lachend.
»Nein, die Dinger lege ich als Köder aus. Verteile das Blech heute Abend unauffällig an jedem Busch in der Straße. Der rennt doch immer barfuß rum«, erklärt er stolz, als hätte er das Rad neu erfunden.
Jetzt verstehe ich und weiß
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