Lügen haben rote Haare
im Dienstzimmer knutschen. Mit keiner Geste oder Mimik verrate ich, dass Roger und ich einander kennen. Er spielt die Rolle ebenfalls perfekt. Klar, seine Karriere!
Das ›Pferdegesicht‹ übernimmt die Wortführung. »Ihre Freundin hatte Glück im Unglück. Sie stürzte im alkoholisierten Zustand über das Treppengeländer im ersten Stock und zog sich dabei eine Fraktur des rechten Oberschenkelknochens zu. Morgen Nachmittag werden wir sie operieren, nach der OP können wir Ihnen dann mehr sagen. Frau Piefke hat angegeben, dass sie keine Angehörigen hat und gebeten, dass wir uns mit sämtlichen Fragen an Sie wenden können bzw. Sie über den Verlauf der Operation unterrichten dürfen. Wenn die Heilung gut verläuft, wird sie in etwa vierzehn Tagen das Krankenhaus verlassen können. Gehen Sie ruhig zu ihr rein.«
Dann reicht sie mir ihre Hand, drückt so feste zu, dass ich kurz in die Knie gehe, und wendet sich zum Gehen. Roger nickt knapp, was wohl » Auf Wiedersehen « bedeuten soll, und rauscht ihr mit wehendem Kittel hinterher. Blödmann, der kann ja gar nicht mehr sprechen. Ich reibe meine schmerzende Hand. Auf Zehenspitzen betrete ich die Notaufnahme. Gundula lächelt mich zaghaft, mit leicht schmerzverzogenem Gesichtsausdruck an.
»Da habe ich mir aber was Dummes eingebrockt, Karo.«
Sie wirkt so nüchtern, als hätte sie lediglich unseren ›Rotwein‹ getrunken. Ich drücke ihre Hand ganz sachte.
»Ach Gundula, das wird schon wieder. Der ›Pferdekopf‹ ähm … Dr. Holland hat gesagt, dass Sie in vierzehn Tagen wieder daheim sind.«
Verlegen deutet sie auf ihre Handtasche, die auf einem Hocker liegt.
»Bitte, Karo, wären Sie so nett und würden mir aus meiner Wohnung einige Sachen holen? Es reicht, wenn Sie sie bis morgen Abend herbeischaffen könnten. Nehmen Sie sich morgen frei, ich werde das verantworten.«
Ich greife ihre Wohnungsschlüssel. Anschließend erklärt Gundula ausführlich, wo ich was finden kann. Toilettenartikel, Nachthemden, Bücher, Ersatzbrille, Kreuzworträtselhefte und etwas Geld. Ich notiere vorsichtshalber alle Einzelheiten auf einem kleinen Block, damit ich nichts vergesse. Dann instruiert sie mich, aus dem Kühlschrank verderbliche Lebensmittel zu entsorgen. Den Müll soll ich in den großen Container, der auf dem Hof steht, werfen, außerdem Paul Geiger über ihren Unfall informieren und … dass im Schlüsselkasten, der im Flur hängt, die Zweitschlüssel von Herrn Geigers Villa deponiert sind.
Ich schreibe langsamer und lasse mir ihre Worte in Gedanken auf der Zunge zergehen: Im Schlüsselkasten im Flur hängen die Zweitschlüssel zu Geigers Stadtvilla.
Ob sie ahnt, was mir durch den Kopf geht, denn ihre Stimme klingt jetzt fast hart. »Nur für den Notfall, damit Sie Bescheid wissen, Karo.«
Ich bewege meinen Kopf schnell von oben nach unten. »Sicher, Gundula, nur für den Notfall. Ich verstehe.«
Peinlich berührt nimmt sie das Angebot an, mich um ihre Schmutzwäsche zu kümmern. Die Kleidung, die sie heute trug, stopfe ich in den Rucksack. Dann erlaube ich mir, die kranke Frau zu drücken, und verabschiede mich mit aufmunternden Worten. »Alles wird gut, Gundula. Bis morgen Abend.«
An der Tür drehe ich mich noch einmal um. »Hat denn Geigers Onkel, ich meine Jacob Geiger keinen Schlüssel der Villa?«
Gundula winkt mich noch einmal zurück. »Nein, der Junior hat gesagt, egal was passiert, egal, um welchen Notfall es sich handeln würde, ich solle auf keinen Fall seinem Onkel alleinigen Zutritt zu seiner Villa gewähren. Ich weiß nicht, was die miteinander haben. Sie mögen sich nicht besonders. Es hat niemand Zugang, außer mir.«
Ich denke gar nicht daran, mir frei zu nehmen. Ich bin viel zu aufgeregt, Bruni wird aus allen Wolken fallen. Wenn das keine Neuigkeiten sind! Eine Stunde vor Dienstbeginn bin ich bereits in Frau Piefkes Wohnung.
Blitzeblanke, behaglich eingerichtete Räume empfangen mich. Zuerst kümmere ich mich um den Kühlschrank, entsorge alles, was verderben könnte. Danach spüle ich flott von Hand, was in der Spülmaschine auf Reinigung wartet, und raffe in Windeseile die Sachen zusammen, die Gundula benötigt. Ordentlich lege ich die Kleidung, nebst Utensilien, in eine Reisetasche, die ich auf dem Kleiderschrank finde. Zuletzt öffne ich feierlich den Schlüsselschrank und greife zaghaft nach dem Bund, an dem ein kleiner Zettel mit der Aufschrift »Villa« angehängt ist. Meine Hände zittern leicht. Obwohl tausend Gewissensbisse
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