Lügen haben rote Haare
an meinem ganzen Körper zu nagen beginnen, lasse ich ihn in meiner Hosentasche verschwinden. Entschlossen schultere ich die Reisetasche, klemme den Müllbeutel unter den Arm und verlasse die Wohnung. Die Nachbartür öffnet sich einen Spalt, eine kleine Frau lugt durch den Schlitz und fragt zögernd, ob Frau Piefke noch leben würde.
»Ja … Sicher …«, entgegne ich verdutzt und laufe so schnell ich kann die Treppe hinunter.
Bruni fällt tatsächlich aus allen Wolken. Ich höre sie förmlich auf dem Asphalt aufschlagen. Haarklein berichte ich. Angefangen vom mitternächtlichen Anruf, von Roger, Ricarda, Gundulas Bitte, ihr Kleidung etc. pp. aus ihrer Wohnung zu holen, der Schmutzwäsche, bis hin zum begehrten Schlüssel, den ich jetzt wie eine Siegestrophäe vor ihrer Nase baumeln lasse.
Vergessen ist unser Rückzug und der Entschluss, der Assmann unseren Einsatz wieder abknöpfen zu wollen. Nach kurzen Mitleidsbekundungen gerät das, was die arme Gundula durchleben muss, ebenso schnell in Vergessenheit. Skrupel haben weder Bruni noch ich. Immerhin geht es um jede Menge Geld, an das wir mit ein wenig Glück jetzt gelangen könnten.
Ich unterrichte Paul Geiger, der extra aus einer Konferenz geholt werden muss, über die neuesten Ereignisse vor Ort. Geigenpaul hat sich wohl erkältet, denn ich kann ihn kaum verstehen, weil er heiser ist. Im Flüsterton ordnet er an, dass wir Piefkes Arbeit mit übernehmen sollen, was für uns eh selbstverständlich ist. Dann bittet er, da Frau Piefke keine Angehörigen hat, sich auch privat ein wenig um sie zu kümmern. Ich erkläre, dass wir alles im Griff haben, worüber er sich freut und Bruni grüßen lässt.
Jacob Geiger geht das alles regelrecht am Hintern vorbei. Ich habe das Gefühl, dass er noch nicht einmal richtig zugehört hat, was Frau Piefke passiert ist. Er nervt uns bis kurz vor Feierabend mit Diktaten und Briefen, die wir schreiben sollen. Zwischendurch schaffe ich es, meiner Mutter telefonisch von dem ganzen Dilemma zu berichten. Sie ist entsetzt und bietet ebenfalls an, ab und zu nach Frau Piefke im Krankenhaus zu sehen. Sie findet Gundulas Lebensumstände ebenfalls traurig. Kurz vor Feierabend verschwindet Geigenjacob, samt Aktenkoffer. Endlich!
Unser »Auf Wiedersehen, Herr Geiger« überhört er, der Miesepeter. Bruni und ich lassen ebenfalls die Kugelschreiber fallen und verlassen, in unerträglicher Spannung, eine halbe Stunde eher die Firma.
Gemeinsam wollen wir der Piefke die Reisetasche bringen und besorgen unterwegs noch ein kleines Blumengesteck aus zarten gelben Rosen, samt Genesungswunschkarte, in die wir liebe Worte schreiben. An der Information der Klinik erfahren wir, dass sie in der 4. Etage auf Zimmer 1212 liege.
Als wir ein leeres Bett vorfinden, erklärt uns Gundulas Bettnachbarin, dass Frau Piefke im Operationssaal sei. Wir verstauen den Inhalt der Reisetasche in Schränke und Schubladen, stellen den Blumengruß samt Karte auf den Nachttisch. Mehr können wir hier momentan nicht ausrichten. Wir verabreden uns für 21 Uhr bei mir zu Hause.
In meiner Wohnung krame ich Gundulas Wäsche aus dem Rucksack und ziehe sie, etwas angewidert, mit zwei Fingern heraus. Es ist schon eine sehr intime Angelegenheit, fremde schmutzige Unterwäsche in den Händen zu halten. Die weiße Seidenbluse hat dicke schwarze Flecken, die ich ratlos beäuge. Ich rufe meine Mutter, die Fleckenspezialistin ist, an und frage, ob ich die dunklen Stellen schon vor der Wäsche behandeln soll.
»Ich muss die Flecken sehen, Karo. Am besten, du bringst die Bluse vorbei. Ach Kind, besser noch, bring die gesamte Wäsche der kranken Frau. Ich übernehme die Reinigung, ich habe doch Zeit.«
Nur zu gerne überlasse ich diese Arbeit meiner Mutter und hoffe, dass auch ich nach zwei Töchtern, zwei Enkeltöchtern, einem Ehemann und altem Vater etwas abgebrühter werde, was miefige Unterwäsche anbelangt. Sofort mache ich mich auf den Weg.
Erstaunt stelle ich fest, dass die halbe Straßendecke der Birkenstraße aufgerissen wurde. Mein Vater erklärt, dass irgendwelche Kabel neu verlegt werden müssen. Opa Heini beschwert sich umgehend über den schrecklichen Lärm, man könne den ganzen Tag lang keinen klaren Gedanken mehr fassen.
»Er ärgert sich«, fügt mein Vater erklärend hinzu, »dass er jedes Schachspiel verliert, und gibt dem Presslufthammer die Schuld.«
Opa tippt sich gegen die Stirn. »Hier oben stimmt alles, Hermann, hier stimmt alles! Es ist die Schuld des
Weitere Kostenlose Bücher