Lügen haben rote Haare
Frau Schimanski. Das Schild am Briefkasten ist ausgewechselt, statt Geiger kann man nun den Namen Carstensen lesen. Das schmiedeeiserne Tor lasse ich weit geöffnet. Das Überkleben des Namenschildes Paul Geiger an der Haustür funktioniert, dank der Klettpunkte, einwandfrei. Im Affentempo verteile ich einige persönliche Gegenstände, die Roger von mir kennt. Meine Bommel-Puschen fliegen auf den Teppich, Oma Fines Strickjacke auf die Couch. Mein Handy schleudere ich auf den Kaminsims. Daneben drapiere ich zerknüllte Papiertaschentücher. Als nächstes lege ich den Kamm, der mich fast ein halbes Leben begleitet hat, ins Gäste-WC auf die Ablage. Daneben landen fünf Lockenwickler. Soweit wäre hier unten alles klar. In rasantem Tempo eile ich, meine Reisetasche geschultert, in die erste Etage. In Geigenpauls Schlafzimmer schlage ich mit voller Wucht auf ein Kopfkissen ein, dass es fast ›schneit‹, mit der Bettdecke handhabe ich es genauso. Mit nackten Füßen springe ich auf dem Bett herum, bis das Laken zerwühlt ist. Die Fotos von mir, die ich aus meiner Handtasche krame, befestige ich mit Stecknadeln an der Wand über dem Bett. Sie zeigen mich mit wehendem Haar auf der Flybridge der Windflower II. Die leere Flasche Rotwein, mit dem dazugehörigen gebrauchten Glas, setze ich auf dem Nachttisch in Szene. Zufrieden betrachte ich mein Werk.
Allmählich komme ich aus der Puste. Atemlos haste ich ins Badezimmer. Zahnbürste, Duschgel, Flakons mit meinen Lieblingsparfüms werden verteilt.
Nach einem rasanten Klamottentausch, Make-up und Haarstyling betrachte ich mich kurz vor 20 Uhr zufrieden im Spiegel. Ich bin zwar in der Zeit, meine innere Uhr geht jedoch vor. So schnell es meine hohen Schuhe erlauben, stöckele ich in den Spa-Bereich. Dort lasse ich ein knallrotes Negligee mit passendem Mini-Slip in den Pool gleiten. Ich scheine das organisatorische Talent meiner Mutter geerbt zu haben, denn im Kühlschrank landen noch sechs Mini-Mettwürstchen sowie eine Flasche Sekt, falls Roger Hunger bzw. Durst haben sollte.
Auch heute bleibe ich meiner Einstellung » Das Beste kommt immer zuletzt « treu. Mit zwei Fingern ziehe ich ein zugebundenes Kondom aus meiner Schminktasche, welches ich zu Hause mit einer Mehl-Wasser-Mischung präpariert habe. Halb voll! Ich deponiere es auf dem dunkelbraunen Parkettboden so, dass selbst Simone ohne Brille es nicht übersehen könnte. Dann schnappe ich die Fernbedienung des gigantischen Flachbildschirmes, kurz darauf lächelt mich Jens Riewa charmant an. Ein tiefer ›Dingdongdong‹-Ton erschreckt mich fast zu Tode. Ich kannte den Ton der Türglocke bislang nicht, denn ha, ha, ha, mich hat ja hier noch niemand besucht. Roger ist quasi mein Debütgast.
Mit einem strahlenden Lächeln öffne ich die Haustür. Roger schaut mich mit einem starren Blick an, wie Nikolaus Geiger, bevor es ›Klong‹ gemacht hat. Schrecklich. Roger soll zwar aus den Latschen kippen, aber nicht tot umfallen! Als endlich wieder Leben in sein Gesicht kommt, trete ich einladend beiseite.
»Komm doch rein, Roger. Aber ordentlich die Füße abputzen.«
Er putzt viel zu lange und ist sichtlich verwirrt, was ich sehr genieße. Er stammelt und sucht nach passenden Worten, die er aber schnell findet.
»Nett habt ihr es hier, Karo. Nett.« Endlich steht er im Eingangsbereich.
»Ja, nett ist es hier. Das finden wir auch.« Ich hake mich bei ihm unter. »So, jetzt zeige ich dir erst einmal mein neues Leben.«
Ich ziehe ihn zum Treppenaufgang. »Oben sieht es ein wenig wüst aus, ich bin nicht zum Aufräumen gekommen.«
Er schweigt angespannt, läuft wie ein stummer Diener hinter mir her. Zuerst öffne ich die Badezimmertür.
»Hier ist das Bad.«
Er lässt seinen Blick in die Runde schweifen.
»Schön. Ja, ein schönes Bad.« Sein Blick klebt förmlich an der versenkten großen Badewanne. Ich schalte das Licht wieder aus. Danach zeige ich ihm die unbewohnten Schlafzimmer für Gäste, danach ›unser‹ Reich. Er scannt den Raum innerhalb von wenigen Sekunden, starrt auf das Doppelbett mit der zerwühlten Bettwäsche. Als Nächstes verweilt sein Blick auf den Fotos an der Wand. Er schluckt, als er die Windflower II sieht.
»Ein Boot habt ihr auch? Ich muss zugeben, das hätte ich jetzt nicht gedacht. Donnerwetter. Ich bereue es fast, dir den Laufpass gegeben zu haben. Du siehst total scharf aus. Auf den Fotos.«
Dann lacht er kurz, aber hektisch auf. Ich überhöre großmütig diese unverschämte
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