Lügen haben rote Haare
mich, dass er diese Frage stellt. »Du kannst mich an der Störtebekerwiese 1 abholen. Das Haus kannst du gar nicht verfehlen. Es ist das einzige Haus weit und breit, ein Haufen weißer Steine. Wir wohnen schon so gut wie zusammen.«
Irritiert sagt er zu und fragt, wo er klingeln soll. Bereits in diesem Moment weiß ich, dass sich ein Problem anbahnt.
»Na, auf dem Klingelknopf.«
Im Hochgeschwindigkeitstempo rase ich den Krankenhausflur entlang, Richtung Treppenhaus. Ich brauche Bewegung. Ich schlage mir vor den Kopf. Ich Idiotin! Er wird mit einem Blick erkennen, dass es sich um einen Geiger handelt.
Paul Geiger steht in Großbuchstaben an der Haustür. So ungläubig wie der ist, wird er nachforschen und logischerweise herausfinden, dass der alte Geiger tot ist und der junge Geiger dieser Paul ist. Das wäre nicht so tragisch, aber was, wenn er die Telefonnummer herausbekommt und dort anruft, nachdem der Junior zurück ist, und mich aus irgendeinem Grund sprechen will?
Dann erfährt Geiger, dass ich in seinem Haus war, und wird mir so feste in den Hintern treten, dass ich im hohen Bogen aus der Firma fliege. Eine Art Phantomschmerz macht sich bereits an meinen Pobacken bemerkbar. Nein, ich muss damit leben, dass ich Roger kein ›Saus und Braus‹-Leben vorspielen kann. Unser Treffen wird gecancelt. Quatsch, absagen geht auch nicht. Die Adresse habe ich herausposaunt! Wenn er aus reiner Neugier sehen will, wo ich fast wohne? Dann wird er ebenfalls den Namen Geiger am Briefkasten entdecken.
Ich fühle mich wie in einem Moor aus Lügenschlamm. Je fester ich strampele, um herauszukommen, desto tiefer versinke ich darin. Bevor ich in meinen Corsa steige, schicke ich einen Blick zum Firmament . Lieber Gott, du hast es so gewollt. Jetzt hilf mir auch gefälligst .
Kurz vor unserem Betrieb stoppe ich vor einer Apotheke. Leise pochende Kopfschmerzen verlangen nach Aspirin. Beim Bezahlen zucke ich zusammen, weil eine schrille Stimme aus dem Hintergrund die ruhige Atmosphäre stört.
»Wer hat die Schilder an den Schubladen überklebt? Seit Jahren haben wir ein und dieselbe Ordnung, ich finde nichts mehr wieder!«
Nun bin ich mir ganz, ganz sicher, dass der liebe Gott mein Vorhaben unterstützt. Schildertausch! So einfach ist das also. Danke . Ich frage die Pillenexpertin nach einem Schildermacher, bereitwillig erklärt sie mir den kürzesten Weg.
Eine Stunde später sitze ich wieder am Schreibtisch. Das Päckchen mit dem frisch gravierten Haustürschild Willi Carstensen liegt in meinem Kofferraum. Wenn Bruni wüsste, dass ich vorhabe, noch einmal in Geigers Prachtvilla zu gehen, würde sie mitkommen wollen. Womöglich mit Heiner im Schlepptau! Dass ich mich mit Roger treffe, kann ich ihr absolut nicht erzählen, sie würde mich für komplett verrückt halten.
Ich bestelle schöne Grüße von Gundula, obwohl sie nicht hat grüßen lassen.
Damit ich nicht viel reden muss, verliere ich mich in einer Tabellenkalkulation. In meinem Kopf schwirrt es wie in einem Hummelnest. Nach Feierabend wünsche ich Bruni einen wunderschönen Abend mit Heiner. Mir wünsche ich, dass Roger aus den Latschen kippt, wenn er mein ›neues Zuhause‹ sieht.
Mein Magen schreit nach Nahrungsaufnahme. Ich komme mir so bequem vor wie Conny, als ich bei meinen Eltern ankomme und nach Essen schmachte. Heute Nachmittag fehlen Hanni und Nanni in der Runde, dafür sitzt Anton mit am Tisch.
»Die Kinder sind bei einer Freundin. Kindergeburtstag«, erklärt Conny kurz. Anton nimmt mich stürmisch in die Arme.
»Hallo Schwägerin. Dich habe ich ja lange nicht gesehen.«
Er hält mich auf Armeslänge und beäugt mich. »Gut schaust du aus. Sehr gut. Was macht die Liebe?«
Bevor ich antworten kann, gibt Conny bereitwillig ihren Senf dazu, denn sie ist ja bestens über mein Leben informiert. Ich sehe sofort, dass sie sich ärgert, weil Anton mir ein Kompliment gemacht hat.
»Ist Paul noch im Ausland? Oder ist er wieder im Lande?« Sie sieht mich fragend an.
»Nein, er ist nicht im Lande, Schwesterherz.« Ich kneife Conny vorwitzig in die Wange. »Du bist ein Dummerchen. Wenn er hier wäre, hätte ich ihn doch mitgebracht.«
Anton nimmt meine Glückwünsche über seinen zweiten ›Volltreffer‹ gerne entgegen.
»Nun, eigentlich wollten wir nur noch ein Kind. Der liebe Gott wird sich was dabei gedacht haben.« Er lacht kurz, dann wird er wieder ernst. »Es wird anstrengend werden, besonders für Conny.«
»Eine Haushaltshilfe könnte ich dann
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