Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
»Früher konnte ich für 100 DM beim Aldi einen Einkaufswagen füllen, heute kriege ich für 50 Euro zwei Tüten voll. Geht es euch auch so?« Die erste Befragte wies darauf hin, dass Aldi in der Zwischenzeit sowohl die Einkaufswagen als auch die Tüten vergrößert hatte. Davon wollte aber niemand der weiteren Mitdiskutanten etwas wissen. Ein anderer gab zu bedenken, dass der Fragesteller in der Zwischenzeit schon
mindestens fünf Jahre älter geworden sei, und dass seine Ansprüche an Qualität und Preisniveau der Lebensmittel in dieser Zeit vielleicht gewachsen sein könnten. Diese beiden kritischen Stellungnahmen waren aber die Ausnahme. Fast alle der 41 Mitdiskutanten waren sich sicher, dass die Aldi-Preise durch die Umstellung auf den Euro stark gestiegen seien. Obwohl alle amtlichen Statistiken – auch die, die sich nur auf Lebensmittelpreise beziehen – eindeutig das Gegenteil aussagen. Inzwischen sind durch den Preiskampf im Lebensmittelhandel sogar viele Lebensmittelpreise unter den Stand von 2001 abgesunken.
Ein anderer großer Unsicherheitsfaktor persönlicher Statistiken, die sich nur auf Erinnerungen und Gespräche stützen, ist der Faktor Zeit. Wann war »früher«? War das wirklich im letzten DM-Jahr 2001? Oder ist es vielleicht schon viel länger her? Sicher, fast alle Preise waren einmal halb so hoch wie heute – oder sogar noch kleiner. Gleichwohl sind wir, die beiden Autoren, uns in diesem Punkt nicht ganz einig. Jens kommt jetzt mit einem Bielefelder Beispiel »umme Ecke«, wie man in Westfalen sagt:
2008 erregte sich ein älterer Bielefelder in einem Leserbrief in der Neuen Westfälischen über den »Teuro« und zitierte als Beleg Fleischpreise aus einer Zeitung von 1987. Die waren tatsächlich in Zahlen etwa so groß wie heutige Europreise für bessere Qualitäten. Und das war erst neun Jahre her, schrieb der Mann empört. Neun Jahre? Es war einfach unvorstellbar für ihn, dass diese Zeitung in Wirklichkeit schon 21 Jahre alt war.
Und ich, also Gerd, wende ein, dass man bei einem genauen Vergleich der Preissteigerungen vielleicht feststellen könnte, dass die Fleischpreise in diesen 21 Jahren stärker gestiegen
sind als der durchschnittliche Preisindex; dass gestiegene Fleischpreise vielleicht mehr aufregen als gesunkene Milchpreise beruhigen; und dass manche Europreise sich den Hürden 1, 5, 10, 50 oder 100, die die Leute im Kopf haben (früher in DM, jetzt in Euro), schneller genähert haben könnten, als nach dem statistischen Durchschnitt zu erwarten war.
Kapitel 11
Die konstruierte Explosion
Alle Jahre wieder liefern die Medien Horrorszenarien von den »ins Unermessliche steigenden« Kosten des Gesundheitswesens. Im Januar 2008 fragte zum Beispiel das ARD-Magazin plusminus , wohl eher rhetorisch: »Wird Krankenversicherung unbezahlbar?« Der Kölner Stadt-Anzeiger wusste es 2007 schon genauer: »Experten: Gesundheit ist bald unbezahlbar«.
Neu ist die Geschichte nicht. Schon 1975 titelte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel: »Krankheitskosten: Die Bombe tickt«. 1
Gesundheitskosten im Vergleich
Doch wir haben hier eine gute Nachricht für Sie, liebe Leser: In Wirklichkeit explodiert da überhaupt nichts.
Merkwürdigerweise wollen viele Politiker und Journalisten die gute Nachricht nicht hören. Aus verschiedenen Gründen hängen sie an dem Drama einer Kostenexplosion, und wenn die Lunte partout nicht brennen will, dann wird eben so lange manipuliert, bis es zumindest brenzlig aussieht. Wir zeigen Ihnen in diesem Kapitel, wie sie das machen; dass sich die Kosten des Gesundheitswesens, wenn man sie im Zusammenhang mit anderen Kosten betrachtet, schon seit vielen Jahren
moderat entwickeln; warum sie das wahrscheinlich auch in Zukunft tun werden; und wo das wirkliche Finanzierungsproblem der Krankenkassen liegt.
1975 war es der damalige Landesminister und CDU-Stratege Heiner Geißler, der mit einem Katastrophengemälde die politische Szene Westdeutschlands in Wallung brachte. Der Spiegel gab es wie folgt wieder:
»50 Milliarden Mark kostete der westdeutsche Medizinbetrieb 1974 … Rund 60 Milliarden werden es nach jüngsten Berechnungen in diesem Jahr sein. Gemessen am Umsatz, zählt der Gesundheitsbetrieb zu den größten Unternehmensbranchen, wie Elektro, Auto und Chemie. Ende 1978, so errechnete ein CDU-Planungsstab unter … Geißler, wird der Gesundheitsetat sich der 100-Milliarden-Grenze nähern … Witzbolde unter den Hochrechnern haben sogar schon prophezeit, dass im Jahr
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