Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
genauer an.
Auf diesen Einsatz hat der medienübergreifend tätige und beinahe omnipräsente Sozialexperte Bernd Raffelhüschen gewartet: »Pflegebeitrag: Raffelhüschen warnt vor Vervierfachung /Die Pflege älterer Menschen wird nach Berechnungen des Sozialexperten Bernd Raffelhüschen in den kommenden Jahren drastisch teurer werden . « So dröhnte Focus Online am 28. 7. 2007, und viele andere Redaktionen stießen rasch ins gleiche Horn.
Die Anzahl der Pflegebedürftigen entspricht zurzeit etwa der Hälfte der Anzahl der Über-85-Jährigen. Da sich nach den Modellrechnungen des Statistischen Bundesamts der Anteil der Über-85-Jährigen – auch Hochbetagte genannt – bis 2050 etwa vervierfacht, müssen wir demnach für 2050 mit einer Vervierfachung der Pflegekosten rechnen. 9 Dazu gemalt wird dann oft noch die abnehmende Anzahl der Jugendlichen (siehe Seite 77ff.), also ein drohender Mangel an Pflegekräften. Die Pflege-Katastrophe scheint unausweichlich. Wie eine private Pflegeversicherung, die meist im nächsten Atemzug als Retter aus der Not angepriesen wird, bei diesen Problemen helfen kann, bleibt in der Regel das Geheimnis der zitierten »Sozialexperten«, und kaum ein Journalist kommt auf die Idee, an dieser Stelle nachzufragen – aber das nur nebenbei.
Das alles klingt fast logisch, soweit wir die Annahmen des Statistischen Bundesamts zur Alterung nicht in Zweifel ziehen (was wir im Kapitel »Die Magie der Prognose« allerdings getan haben). Methodisch ist diese Argumentation aber völlig
falsch, und zwar aus folgendem Grund: Zu der Vervierfachung des Anteils der Hochbetagten kommen die Statistiker unter der Annahme, dass sich die Lebenserwartung bis 2050 um ca. sieben Jahre erhöht. An dieser Stelle ihrer Rechnung denken sie dynamisch, sie vollziehen eine Veränderung nach. Die Altersgrenze jedoch, mit der sie die Gruppe der Hochbetagten definieren, lassen sie konstant bei 85 stehen. An dieser Stelle denken sie plötzlich statisch! Wenn das stimmen würde, würde das bedeuten, dass wir im Jahr 2050 alle sieben Jahre, die wir an Lebenszeit hinzugewonnen haben, in Krankheit und Pflegebedürftigkeit verbringen werden. Das widerspricht nicht nur der historischen Erfahrung, es ist auch schlicht unlogisch: Denn warum sollten wir sieben Jahre älter werden, wenn unsere Gesundheit keine Fortschritte macht?
Die Älteren unter uns wissen, dass sie mit sechzig in der Regel erheblich rüstiger sind, als ihre Großeltern im selben Alter gewesen sind. Mediziner schätzen, dass ein heute Sechzigjähriger im Schnitt die physische Konstitution eines Fünfzigjährigen aus der Zeit vor 30 Jahren hat. Auch die Statistiker des Max-Planck-Institutes für demografische Forschung in Rostock ziehen aus den Daten der Jahre 1991 bis 2003 den Schluss: »Steigende Lebenserwartung geht mit besserer Gesundheit einher.« 10
Auch wir können leider die Frage nicht beantworten, was denn passieren wird, wenn die Prognose des Statistischen Bundesamts zur Lebenserwartung Wirklichkeit werden sollte. Im Gegensatz zu anderen geben wir das zu und berechnen, um uns einer Antwort wenigstens von einer Seite anzunähern, einige mögliche Szenarien:
So steigt der Anteil der Hochbetagten bis 2050
gegenüber 2005, wenn die Lebenserwartung um 7 Jahre steigt.
Definition heute: Hochbetagte sind 85 Jahre oder älter
Mindestalter 2050
Steigerungsfaktor
85
4,2
86
3,6
87
3,0
88
2,5
89
2,0
90
1,6
91
1,3
92
1,0
Datengrundlage: 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung
Nov. 2006, Variante1-W2; eigene Berechnungen
Werden also alle gewonnenen sieben Jahre in Pflege verbracht, ist die Angst vor der Vervierfachung der Kosten berechtigt. Verbringen wir wenigstens die Hälfte davon in leidlicher Gesundheit, würde sich die Anzahl der Pflegebedürftigen nur noch verdoppeln. 11 Und sind die sieben gewonnenen Jahre alle gesunde Jahre, bliebe der Anteil der Pflegebedürftigen sogar konstant. Die letzte Annahme ist gar nicht so unwahrscheinlich, da der medizinisch-technische Fortschritt Krankheiten auch zurückdrängen kann. Gesundheitswissenschaftler diskutieren sogar die These, dass die Anzahl der Krankheitsjahre im Leben der Menschen tendenziell sinken wird (Kompressionstheorie), und begründen sie oft mit Daten aus der sozial besseren Schicht, die den zu erwartenden Fortschritt für die breite Mehrheit gewissermaßen vorwegnimmt. Damit Sie uns nicht als Traumtänzer abstempeln, wollen wir es hier als Bedingung
formulieren: Wenn es uns 2050 sozial nicht
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