Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
Bruttoinlandsprodukt
Und so verweht das Geschwätz von der Kostenexplosion im Gesundheitswesen wie Staub im Wind.
Natürlich sind wir nicht die Ersten, die die Mär von der Kostenexplosion im Gesundheitswesen demaskieren. Selbst die früheren Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) und Renate Schmidt (SPD) haben das in ihrer jeweiligen Amtszeit öffentlich getan. Ähnlich äußerte sich der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen in seinem Jahresgutachten 2003. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellte Anfang 2008 fest, dass die Gesundheitsausgaben in Deutschland pro Kopf der Bevölkerung 1995 bis 2005 jährlich nur um 1,8 Prozent gestiegen sind (im Durchschnitt der Jahre), in den anderen 29 Vergleichsländern aber im Schnitt um real 4 Prozent. 7
Wie kommt es dann aber, dass die Krankenkassen trotz dieser moderaten Entwicklung immer wieder vor Finanzierungsproblemen stehen?
Im Kapitel »Yang ohne Yin« haben wir das Thema bereits erwähnt: Wie jede Finanzierung besteht die Finanzierung des Gesundheitswesens aus zwei Seiten, einem Yin und einem Yang, den Einnahmen und den Ausgaben. Öffentlich gesprochen wird aber fast immer nur über das Yang, die Ausgaben. Denn es scheint interessierte Kreise zu geben, die nicht wünschen, dass über die Einnahmen der Krankenkassen und deren Entwicklung debattiert wird. Umso mehr Grund für uns, genau das hier zu tun. Zumal viele von uns das Problem schon am eigenen Leib erfahren haben. Ist das Konto im Minus, dann kann das zwei Gründe haben: Entweder haben wir zu viel Geld ausgegeben oder zu wenig Geld eingenommen.
So entwickelten sich das BIP, die Ausgaben und die Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland, jeweils pro Einwohner beziehungsweise Mitglied. 8 Quelle: Solidarität und Qualität stärken; ver.di Positionen.
Wenn Sie hier die Zeit ab 1992 betrachten, sehen Sie, wie eine der drei Kurven hinter der Entwicklung der beiden anderen zurückbleibt: nämlich die Einnahmen der Krankenkassen je Mitglied. Die Leistungsausgaben dagegen sind nicht stärker gestiegen als das BIP. Das wahre Finanzierungsproblem der Krankenkassen liegt also auf der Einnahmenseite; da steckt die Asymmetrie! Welche Probleme das im Einzelnen sind, können wir an dieser Stelle nur kurz andeuten: Die Löhne und Gehälter der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind seit 1995 schwächer gestiegen als das BIP (und zuletzt sogar real geschrumpft). Dementsprechend schwach sind die Beiträge der Versicherten gestiegen. Es gibt immer mehr prekär Beschäftigte, Selbstständige mit Hungereinkommen, Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger, die nichts oder
fast nichts in die Krankenkassen einzahlen können. Auf der anderen Seite des Spektrums wandern Gutverdiener in die privaten Krankenversicherungen ab und gehen den gesetzlichen Krankenversicherungen als gute Beitragszahler verloren. Hier wären also ganz andere Problemlösungen gefragt als Praxisgebühren, Zuzahlungen, Arzneimittelbudgets oder Gehaltskürzungen für Krankenschwestern. Wir verweisen auf politische Vorschläge wie die Bürgerversicherung, Mindestlöhne, die Anhebung oder Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze.
Gesundheitskosten und demografische Entwicklung
Wenn es immer mehr ältere Menschen gibt, muss das nicht zwangsläufig negative Konsequenzen für die Finanzierung des Gesundheitswesens haben? Diesem Komplex wollen wir uns im Folgenden widmen; und das wird keine leichte Kost, denn hier geht es um eine trickreiche Vermischung von dynamischem und statischem Denken . Empirische Sozialwissenschaftler kennen das Problem auch unter der sperrigen Bezeichnung »unzulässige Verbindung von Ergebnissen aus Längs- und Querschnittanalysen«. Die Vermischung ist äußerst tückisch, da leicht eingängig, sodass selbst viele Wissenschaftler darauf hereinfallen. Bitte lassen Sie sich vom Wortgeklingel der Wissenschaftler nicht abschrecken; nach der Lektüre der nächsten Seiten haben Sie den Denkfehler, von dem wir sprechen, durchschaut und werden ihn schon bald selbst entlarven können, wenn er Ihnen einmal in anderen Zusammenhängen begegnet.
Kaum jemand mag bezweifeln, dass die Alterung der Gesellschaft
im Gesundheitsbereich extrem kostentreibend sei, vielleicht sogar unbezahlbar. Denn Ältere verursachen im Schnitt höhere Gesundheitsausgaben, und mit dem Alter steigt auch die Gefahr der Pflegebedürftigkeit . Schauen wir uns zunächst das zweite Argument
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