Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
Banken/Multis/Managern. Hauptsache, es trifft die Richtigen. Der Zweck heiligt die Mittel. « 2
Fünfzehn Beispiele aus der Praxis
Fünfzehn Beispiele, die Ihnen bereits zum Teil bekannt sind, versuchen wir im Folgenden, einer der genannten Gruppen zuzuordnen. Oft sind die Übergänge allerdings fließend.
1. Eisen im Spinat
Jahrzehntelang wurden Babys und Kleinkinder in Deutschland und der Schweiz (vielleicht auch anderswo?) qualvoll mit Spinat zwangsernährt, weil Eltern und Großeltern glaubten, dass Spinat besonders viel Eisen enthalte, und dass die Babys dieses Eisen fürs Wachstum bräuchten. Die Kinder sträubten sich meist mit Händen und Füßen, und sie hatten recht: In Wirklichkeit enthalten 100 Gramm Spinat nicht 35, sondern nur 3,5 Milligramm Eisen – so viel wie andere Gemüsesorten auch. »Wie war das denn bei dir?«, fragen wir einander. Ja, Gerd (Jahrgang 1953) musste wohl noch kräftig gegen die grüne Flut anpusten. Jens dagegen (Jahrgang 1960) blieb offenbar verschont und mochte später sogar Spinat. Gerd hat dann irgendwann das pampige Trauma überwunden.
Quelle des Spinat-Irrtums war ein Schweizer Wissenschaftler, der sich in seiner Veröffentlichung 1890 beim Setzen des Kommas vertan hatte. Ein klarer Fall von Dummheit beziehungsweise Unwissenheit, gepaart mit geistiger Trägheit: Ein Wissenschaftler hat einen Fehler gemacht; so etwas kann vorkommen. Andere Wissenschaftler haben es versäumt, die Sache zu kontrollieren – obwohl das sehr nahe gelegen hätte: Denn warum sollte ausgerechnet Spinat zehn Mal so viel Eisen enthalten wie andere Gemüse? Solche Unregelmäßigkeiten schreien eigentlich nach einer Überprüfung (die es ja dann auch gab, aber erst vierzig Jahre später).
Schließlich die geistige Trägheit vieler Eltern, die sich weigerten, die neuen Meldungen über den wirklichen Eisengehalt des Spinats zur Kenntnis zu nehmen, und lieber an einem Glauben festhielten, den schon die Großeltern gepredigt hatten. Insgeheim war vielleicht auch eine Art Rachebedürfnis
im Spiel, also eine Prise Bosheit: »Was mir nicht geschadet hat, wird meinem Kind auch nicht schaden.« (Psychologische Übersetzung: »Worunter ich gelitten habe, darunter soll mein Kind auch leiden.«)
2. Das geschrumpfte Kuchenstück
Fast alle Volkswirtschaftler sind sich einig, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt tendenziell immer weiter anwächst. 3 Der Kuchen der Produkte und Dienstleistungen, die wir erzeugen, wird also größer.
Alle Bevölkerungsexperten sind sich einig, dass die Bevölkerungszahl in Deutschland tendenziell abnimmt.
Ein immer größerer Kuchen wird also auf immer weniger Esser verteilt. Was folgt daraus für die Größe des Kuchenstücks, das auf jeden Einzelnen von uns entfällt? Simsalabim! Es schrumpft. Behaupten zumindest die meisten Wirtschaftsprofessoren, Wirtschaftsredakteure, Wirtschaftspolitiker und Unternehmer. »Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt! « — »Der Gürtel wird jetzt enger geschnallt!« – »Ihr müsst jetzt länger arbeiten und weniger Geld verdienen!« So hören wir sie bei jeder Gelegenheit schreien.
Übertragen Sie das einmal auf Ihre nächste große Geburtstagsparty! Sie backen einen Kuchen mehr als sonst, laden weniger Leute ein als sonst, und deshalb bekommt jeder jetzt ein kleineres Stück. Wenn ein Gast nach einem zweiten Stück verlangt, sagen Sie: Hast du es noch nicht gehört? Wir alle müssen den Gürtel enger schnallen. Fragt sich nur, was Sie nachher mit den Unmengen Kuchen machen, die übrig geblieben sind.
Heute
Zukunft
Produzierte Waren und Dienstleistungen
Bevölkerung
Anteil für jeden
Wenn der Kuchen gröfser wird und die Zahl der Esser abnimmt, dürfen die Gürtel weiter geschnallt werden.
Was steckt hinter diesem Unfug? Zum einen eine Missachtung der Volkswirtschaft. Dass Kostensparen betriebs wirtschaftlich gesehen, also für den Gewinn des einzelnen Unternehmens – zumindest kurzfristig — positiv ist, dieser Grundsatz wird blind auf die gesamte Volkswirtschaft übertragen – also ein klarer Fall von Dummheit und Ignoranz im Sinne Hochstädters: Anwendung einer falschen Methode. 4 Dass sich nur wenige über eine solche Unlogik wundern, verweist auf eine weit verbreitete geistige Trägheit in volkswirtschaftlichen Fragen. Manch einer wundert sich vielleicht im Stillen, traut sich aber nicht, etwas zu sagen; denkt sich: Mein kleiner Kopf ist wohl nicht in der Lage, diese großen Dinge zu beurteilen …
Aber zum andern
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