Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)

Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)

Titel: Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Bosbach , Jens Jürgen Korff
Vom Netzwerk:
steckt vermutlich, etwa bei Unternehmerlobbyisten, auch eine böse Absicht dahinter. Denn in der Volkswirtschaft wird der übrig gebliebene Kuchen weder
weggeworfen noch an die Armen verschenkt – sondern den verspeisen einige wenige Reiche, oder sie verzocken ihn an der Börse, oder sie spenden einen Teil davon für mildtätige Zwecke und lassen sich dafür noch Denkmäler setzen und im Fernsehen beklatschen.

5. Verlogene Momentaufnahmen
    »Was kümmert uns die Vergangenheit? Wenden wir uns lieber der Zukunft zu!« Wer so denkt, fällt leicht auf Lügner herein, die dadurch ein falsches Bild von der Wirklichkeit erzeugen, dass sie die Vorgeschichte (und manchmal auch die überraschende Nachgeschichte) einer bestimmten Situation verschweigen. Die britische Tageszeitung The Guardian warb Mitte der 1990er-Jahre mit einem preisgekrönten Fernsehspot für ihre (angeblich) soliden Recherchen. Man sah in einer kurzen Szene, wie ein junger Mann auf einem Bürgersteig plötzlich heftig eine alte Frau anrempelte – und dachte sich: alles klar, ein Rowdy oder ein Handtaschenräuber. Doch der Guardian
wollte es genauer wissen. Ergebnis: Die gleiche Szene wiederholt sich, dauert jetzt aber zwei Sekunden länger: ein abstürzendes Vordach kracht knapp hinter den beiden zu Boden. Der junge Mann hatte der alten Frau das Leben gerettet, indem er sie aus der Gefahrenzone gestoßen hatte.
    2010 veröffentlichte der amerikanische Konservative Andrew Breitbart im Internet ein Video, in dem die afroamerikanische Ministerialbeamtin Shirley Sherrod zugab, dass sie sich einmal geweigert habe, einem armen weißen Farmer zu helfen. Sofort brach eine Kampagne los, und man zwang die vermeintlich antiweiße »Rassistin« zum Rücktritt. Erst später wurde die ganze Passage ihrer Rede bekannt: Die Beamtin hatte nachdenklich und selbstkritisch darüber gesprochen, welche inneren Schwierigkeiten sie 1986 zunächst gehabt hatte, einem weißen Farmer zu helfen. Sie hatte dann aber ihre spontane Reaktion, die dem tief sitzenden Schwarz-Weiß-Denken verhaftet war, überdacht. Dabei war ihr schnell klargeworden, dass sie armen Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe helfen musste; und sie hatte ihren Fehler selber, aus eigener Einsicht, korrigiert. 17 Wer wie Breitbart aus einer längeren Äußerung, in der jemand seine eigene Entwicklung schildert, nur den schlechten Teil der Entwicklung herausstellt, um die Person bloßzustellen, begeht eine schwere Verleumdung mit eindeutiger politischer Absicht. Die Methode ist deshalb besonders infam, weil Breitbart ausgerechnet eine Selbstkritik von Sherrod ausgenutzt hat, um ihre Äußerung ins Gegenteil zu verfälschen.
    Solche individuellen Entwicklungsgeschichten sind schwer auf gesellschaftliche Entwicklungen zu übertragen. Dennoch sehen wir eine Parallele, wenn Demografie-Experten wie Herwig Birg und Journalisten wie Frank Schirrmacher, wie im
Kapitel »Die Magie der Prognose« gezeigt, eine Entwicklung unserer Zeit in die Zukunft hinein verlängern und eine Katastrophe prophezeien für den Fall, dass der Altenquotient (die Anzahl älterer Menschen im Verhältnis zu 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter) in Deutschland bis 2050 von derzeit 34 auf 65 steigen sollte. Denn sie verschweigen, dass der Altenquotient von 1950 bis heute sich ebenfalls verdoppelt hat (von 17 auf 34), ohne eine Katastrophe auszulösen. Ohne historische Vergleiche sind solche umfassenden gesellschaftlichen Entwicklungen und ihre Konsequenzen unseres Erachtens nicht realistisch einzuschätzen.

6. Seniorenrepublik Brandenburg
    »Im Osten droht extreme Alterung – Studie: 2050 in Brandenburg 90 Prozent Rentner« – so oder ähnlich titelte auch die angeblich seriöse deutsche Presse im Juli 2009, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung. 18 Stellen Sie sich das bitte plastisch vor: Auf einem ganz normalen Marktplatz, einer normalen Einkaufsstraße sind samstags 100 Menschen unterwegs; davon sind 90 Rentner, 2 Kinder und 8 jüngere Erwachsene. Auf einen jüngeren Erwachsenen kommen über 11 Rentner. Und so ist das überall in Brandenburg, nicht nur in den Seniorenheimen. Wer erzieht dann noch Kinder, backt Brötchen, hält Häuser instand, erledigt die Verwaltung? So eine Gesellschaft kann es niemals geben! Diese Vorstellung ist so grotesk, dass wir von einem Fall hochgradiger Dummheit ausgehen und gar keine bösen Absichten mehr unterstellen.
    Wie kam es zu dieser Horrormeldung? Der »Sachverständigenrat zur Begutachtung der

Weitere Kostenlose Bücher