Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
langfristig unvermeidbar«, so wurde er zitiert . 23 Der Zeitungsartikel fasst zusammen: »Langfristig hält Bomsdorf ein höheres Renteneintrittsalter als 67 für erforderlich.« Sollten seine wackeligen Vorhersagen bis zum Jahr 2110 wohl wieder einmal das bekannte Lied des Sozialabbaus begleiten?
11. Potemkinsche Dörfer in der Bildungspolitik
Der russische Militärreformer Graf Grigori Potemkin hat einer Legende zufolge 1787 bei einer Inspektionsreise der Zarin Katharina
II. auf der Krim entlang der Wegstrecke Dörfer aus bemalten Kulissen zum Schein errichten lassen, um eine rege Besiedlung und ackerbauliche Tätigkeit in der Gegend vorzutäuschen. So entstand der Begriff »potemkinsche Dörfer« für die Vorspiegelung falscher Tatsachen.
Ende 2009 hatten die Finanzminister der deutschen Bundesländer ein Problem: Deutschland will im Rahmen der Lissabon-Strategie (Aufbau einer Wissensgesellschaft) bis 2015 mindestens 10 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung ausgeben. Wie soll das aber finanziert werden, ohne deutsche Unternehmer oder Reiche dafür zur Kasse zu bitten oder die Mehrwertsteuer erneut anzuheben? Sie ahnen es schon: Kreative Buchhaltung ist gefragt. Entsprechende Forderungen und Vorschläge trieben selbst Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) die Zornesröte ins Gesicht: »Ich war platt, als ich die neuen Berechnungen der Finanzminister zu den Bildungsausgaben sah.« 24 Zwei Beispiele: Fiktive Sozialausgaben für ehemalige Beamte aus dem Bildungsbereich sollen in Zukunft neu als Bildungsausgaben zählen. Auch sogenannte kalkulatorische Überlassungskosten für Schul- und Hochschulgrundstücke in Höhe von mindestens 10 Milliarden Euro sollen plötzlich mitgerechnet werden. Ein hoher Beamter eines Kultusministeriums kommentierte das sarkastisch: »Wenn die Finanzminister weiter so rechnen, werden wir beim dritten Bildungsgipfel am 10. Juni 2010 gar noch Geld für Bildung und Forschung wieder abgeben müssen – weil das Zehn-Prozent-Ziel schon übererfüllt ist –, wenn auch nur in der Statistik.«
Die Forscherin Cornelia Heintze hat noch weitere Vorschläge dieser Art bei deutschen Finanzministern, Bildungsplanern und dem Statistischen Bundesamt entdeckt: 25 Sie
überlegen, auch die Lebenshaltungskosten der Schüler, den abgesenkten Mehrwertsteuersatz auf Bücher (als Steuersubvention) sowie den Umsatz von privaten Fahrschulen, Musik-und Tanzschulen mitzurechnen. Und ein Teil dieser Überlegungen stand Mitte 2010 vor der Umsetzung!
Wie passen diese Manipulationen in unser Bewertungsschema? Da die Finanzminister keine Nutznießer ihrer Schaurechnungen sind, müssen wir vielleicht von Notlügen sprechen. Nutznießer sind die heiligen deutschen Steuerzahler – oder auch Steuernichtzahler wie Vermögensbesitzer, die von einer Vermögensteuer verschont bleiben, mit der man wirkliche und wirksame Erhöhungen der Bildungsausgaben finanzieren könnte.
12. Die schwarz-roten Zahlen der Deutschen Bahn
Ein ähnlicher Coup ist der Deutschen Bahn im Verlauf der 1990er-Jahre gelungen: Sie hat es geschafft, das, was man früher die »roten Zahlen« der Bahn genannt hat, in Gewinne zu verwandeln. Wie konnte das geschehen? In jener grauen Vorzeit, als die Bahn noch eine Behörde war und man in Klein-und Vorstadtbahnhöfen seinen Fahrschein bei einem Mitarbeiter kaufte, der hinter einem Schalter saß, kostete das Betreiben eines Nahverkehrszugs deutlich mehr, als durch den Verkauf der Fahrscheine wieder hereinkam. Deshalb schrieb die Bahn rote Zahlen, und der Staat finanzierte das Defizit; denn die Transportleistung der Bahn galt als gesellschaftlich unverzichtbare Aufgabe. Seit 1994 ist die Bahn eine Aktiengesellschaft, also eine Art Privatunternehmen, und deshalb ist alles anders: Der Nahverkehrszug heißt jetzt Regionalexpress, und
der Betrieb eines Regionalexpresses kostet (trotz des dramatischen Personalabbaus bei der Bahn) immer noch deutlich mehr, als durch den Verkauf der Fahrscheine wieder hereinkommt. Diese Kosten übernimmt nach wie vor der Staat; genauer gesagt sind es die Bundesländer. Die Bahn aber schreibt Gewinne, weil jetzt die Bundesländer als Kunden der Bahn auftreten und die Regionalverkehrsleistungen bei der Bahn bestellen und bezahlen. Merke: Es wird nicht immer alles dadurch besser, dass man zum Kunden erklärt wird.
Immerhin deutet diese Kreativität auf eine gewisse Geschäftstüchtigkeit der Deutschen Bahn AG hin, und auch auf dem internationalen
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