Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
geliebten Festkomitee Kölner Karneval von 1823 e.V. ein bisschen wehtun. Der weltberühmte Kölner Rosenmontagszug ist natürlich das herrlichste, großartigste und gewaltigste »Kamelle-Ereignis« der Welt. Da beißt die Maus keinen Faden ab, soweit sind wir mit dem Festkomitee einer Meinung. Wenn dieses aber behauptet, dass der Rosenmontagszug 1 Million Menschen an den Zugweg gelockt habe, dann verzieht sich plötzlich der Kölschdunst aus unseren Gehirnwindungen, und wir werden
kritisch. Denn normalerweise brauchen 1 Million Menschen für ihren Aufenthalt das gesamte Kölner Stadtgebiet. Wie könnte man diese Zahl überprüfen?
Ein Leserbriefschreiber des Kölner Stadt-Anzeigers hat dafür 2005 folgende Überschlagsrechnung aufgestellt: Der Zugweg ist etwa 6,5 Kilometer lang. Angenommen, alle Zuschauer am Rande sind Schmalhanse, die nur staunen wollen und ganz darauf verzichten, nach Kamelle, Pralinen und Strüßjer zu schnappen – solche Leute gibt es in Köln nicht, wagt Jens zu bemerken –, dann finden auf jeder Seite zwei Personen pro Meter Zuschauerreihe Platz. Das ergibt, selbst wenn wir Baustellen, Einsturzlöcher und Ähnliches ignorieren, maximal 13 000 Personen pro komplette Zuschauerreihe (nämlich 2 pro Meter × 6500 Meter). Um 1 Million Zuschauer unterzubringen, braucht das Festkomitee 77 Reihen dieser Art, also über den gesamten Zugweg 38 dicht gedrängte Zuschauerreihen auf beiden Seiten.
Jeder, der schon zwei oder drei Mal dabei war, weiß, dass auf dem größten Teil der Strecke nur 5 bis 10 Reihen pro Seite Platz haben, und dass die meisten Zuschauer sehr wohl nach den Pralinen schnappen, dazu noch schunkeln, Kölsch süffeln oder gar schwanken wie das Wirtschaftswachstum, also mehr Platz brauchen als einen halben Meter. Wenn wir in der korrigierten Rechnung einmal sehr optimistisch von 10 Reihen pro Seite ausgehen und von 60 Zentimetern pro Pappnase, dann kommen wir auf knapp 220 000 Zuschauer.
Und bevor mir jetzt fundamentalistische Karnevalisten meinen Schreibtisch unter einer Tonne Rosenmontagsmüll begraben, verspreche ich hoch und heilig dem Festkomitee: In der nächsten Auflage dieses Buches wird diese Plausibilitätsprüfung für Düsseldorf gemacht.
Übrigens benutzen die Krankenkassen diese Methode, um die Leistungsabrechnungen der Ärzte routinemäßig zu überprüfen. Sie multiplizieren die Zahl der abgerechneten Leistungen mit der ihnen bekannten durchschnittlichen Zeit, die eine Einzelleistung in Anspruch nimmt. Bei dem einen oder anderen schwarzen Schaf unter weißem Kittel soll dabei herausgekommen sein, dass er im Abrechnungsmonat an 23 Stunden pro Tag Patienten behandelt haben wollte, auch an den Sonntagen.
7. Prüfen: Was genau wurde untersucht oder belegt?
Hier geht es um die zuweilen etwas heikle Frage der Definitionen, die wir auf Seite 165f. angeschnitten haben. Ein Beispiel: In Diskussionen über die Bedeutung des Mittelstands für den Arbeitsmarkt führten Verbandsvertreter früher gerne Zahlen aus der offiziellen Arbeitsstättenzählung an, die belegen sollten, dass die große Mehrzahl der Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Betrieben angesiedelt sei. Vorsicht Falle! Als Arbeitsstätte galt damals jede selbstständige örtliche Einheit, also auch jede Filiale. Riesige Handelskonzerne wie Aldi, Rewe, Tengelmann oder Schlecker zerfallen bei Arbeitsstättenzählungen in Hunderte von »Kleinbetrieben«. Die angeführten Zahlen decken also nicht die Behauptung der Verbandsvertreter, dass kleine und mittelgroße Unternehmer über die große Mehrzahl der Arbeitsplätze entscheiden.
8. Doppelte Vorsicht bei besonders grofsen Geschäften
Je weitreichender und teurer die Folgen einer Entscheidung, umso größer ist auch die Fälschungsgefahr! Für Geschäfte in Milliardenhöhe muss man ja nicht unbedingt über Leichen gehen. Aber ein paar »unabhängige« Institute beauftragen, ein paar bekannte Experten auf seine Seite ziehen, ein paar Artikel und Fernsehbeiträge lancieren, lohnt sich dafür allemal. Und plötzlich hört man die Botschaft aus vielen unterschiedlichen Quellen; Politiker aus verschiedenen Lagern, Journalisten unterschiedlicher Couleur wiederholen sie im Fernsehen und anderswo, um sich mit »seriösem« Hintergrundwissen wichtigzutun. Der Volksmund sagt treffend: »Einer tausendfach wiederholten Lüge glaubt man leichter als einer zum ersten Mal gehörten Wahrheit.« Wie gut das bei der Propaganda für die private Rente funktioniert hat, haben Sie
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