Luegenherz
hätte mich nur in den Knast gebracht.«
»Dann müssen wir uns eben etwas ausdenken, das uns nicht in den Knast bringt.«
»Wir … uns?« Mila starrt mich an, als würde ich chinesisch reden.
Ich nicke ihr zu. »Wir sind doch Freunde, oder?«
»Ja.« Mila sieht endlich wieder aus wie sie selbst. »Aber was können wir zwei denn schon tun?« Sie rührt in ihrem Latte macchiato, als würde das beim Denken helfen. »Seine Reifen aufstechen, fünfzig Pizzen für ihn bestellen, Gerüchte im Internet über ihn verbreiten?«
»Nein, unser Plan muss viel raffinierter sein.«
Mila stellt ihr Glas ab und atmet tief durch. »Ich habe wirklich lange genug darüber nachgedacht und mir ist nichts eingefallen, außer …« Sie verstummt und zuckt dann mit den Schultern, als hätte sich auch das erübrigt.
»Außer was?«
»Ist doch egal.« Ihre Hände machen eine abwehrende Bewegung.
»Jetzt spuck’s schon aus!« Sie macht es aber wirklich spannend.
Mila windet sich. »Ich weiß nicht, Ally, das habe ich mir in den vielen Nächten nur so zusammengesponnen.«
»Nun sag’s endlich.«
»Klar ist, dass ich Beweise brauche, die habe ich aber nicht.« Mila macht eine so lange Pause, dass ich schon Angst bekomme, sie würde mir nun doch nicht verraten, worüber sie nachgedacht hat.
»Aber«, fährt sie dann endlich fort, »wenn man den Landgraf dazu kriegen könnte, das Gleiche wieder zu tun, dann müsste man nur dafür sorgen, dass es diesmal Beweise gibt, Fotos, Filme, Zeugen oder so was in der Art. Und dann würde man anschließend die Zeitungen anrufen. Und dann«, Mila steht auf, macht sich ganz groß und dreht sich mit ausgebreiteten Armen um sich selbst, »dann werde ich wie ein Racheengel auftauchen und mich an diese Klage dranhängen. Du weißt schon, so wie in den amerikanischen Krimiserien, wo sie immer Frauen finden müssen, die von diesem Mann früher schon verprügelt wurden, sich aber nie getraut haben, den Mund aufzumachen. Dann werde ich meinen Mund sehr, sehr weit aufmachen und er wird erledigt sein.« Ihre Augen funkeln mich an, und obwohl ich gar nichts Kritisches gesagt habe, verdüstern sie sich sofort wieder. »Du siehst, in welche Abgründe mich das gestürzt hat.« Sie lässt sich wieder auf den Hocker fallen.
In meinem Kopf dreht sich alles. Wie kann man nur einem Menschen so viel Leid zufügen? Wenn ich nur irgendwas für Mila tun könnte! Egal, was. Wenn ich ihren Schmerz lindern könnte, dann würde ich es machen, ganz egal, was, ganz egal, wie.
»Ich habe versucht, alles zu vergessen, und wenn’s richtig schlimm wird, dann weiß ich ja, was ich tun kann.« Sie streichelt über ihre Narben, genauso behutsam und liebevoll wie meine Mutter Jury manchmal über den Kopf streichelt … Diese Erkenntnis bricht mir das Herz.
6. Mila
Jetzt hab ich sie. Keine Ahnung, was es war, aber ich spüre es, sie ist bei mir, auf meiner Seite, Wachs in meinen Händen. Endlich jemand, der mir helfen wird.
»Und seinetwegen hast du damit wieder angefangen?«, fragt Ally und es ist rührend zu sehen, wie sehr sie sich beherrscht, nicht auf die Narben zu starren.
»Ich hab versucht, dagegen anzukämpfen, ich wollte es nicht. Glaubst du mir das?«
Ally kommt zu mir und jetzt betrachtet sie die Narben doch.
»Das sieht so schlimm aus«, flüstert sie. »So schmerzhaft. Du musst dich schrecklich gefühlt haben.«
Ich glaube, sie würde sie gern anfassen, traut sich aber nicht.
»Ja, man sieht sich als totale Versagerin, die nichts unter Kontrolle hat, es ist wie ein Zwang. Und weil ich keine neuen Narben wollte, habe ich die alten Narben wieder aufgeritzt, deshalb sind sie so wulstig geworden.«
Ally hat Tränen in den Augen, sie steht auf, räumt die Gläser in das Waschbecken, um alles abzuspülen. Es arbeitet in ihr. Deshalb bleibe ich ganz ruhig, sie muss von alleine darauf kommen. Es muss ihre Idee sein.
»Mila, ich finde deine Racheengelvisionen super«, sagt sie ein paar Sekunden später tatsächlich und mein Herz fängt an, aufgeregt zu klopfen. »Ich würde dir dabei eigentlich auch gern helfen.«
Mist, »eigentlich« hat sie gesagt, das wird ein Nein. Ich hab’s vergeigt. Mal wieder. Doch dann richtet sich Ally auf und zeigt umständlich auf ihren Kopf. Was wird das denn?
»Mila, schau doch mal! Ich bin sicher nicht der Typ, auf den der Landgraf abfährt. Ich bin viel größer als er.«
Mir fällt ein Stein vom Herzen.
Das ist es also. Als ob ihn das kümmern würde. Der nimmt jede.
Ich habe
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