Luegenherz
hätte ich es beinahe geschafft, ein paar Bilder von uns zu knipsen. Aber leider sind die alle nichts geworden, weil ich dabei nicht selbst vor die Linse konnte, ohne mich zu verraten, deshalb habe ich nur noch das hier.« Ich hole das Foto vom nackten Landgraf aus der Tasche und gebe es ihr. »Das war nach einer unserer Touren, die wir zu zweit gemacht hatten. Er … er geht gerne nackt baden.«
Ally zögert einen kurzen Augenblick, doch dann schaut sie sich das Bild an. Ihr Mund verzieht sich sofort zu einer angewiderten Grimasse. »Irgendwie hat das was von Dr. Jekyll und Mr Hyde. Das ist echt unglaublich. Vergreift sich an jungen Mädchen und dabei sieht er so nett aus, fröhlich, ausgelassen …«
»Ich weiß, deshalb war mir auch klar, dass mir niemand glauben würde. Aber dieser Albtraum ist jetzt vorbei. Mit deiner Hilfe kriegen wir ihn.«
Ally gibt mir das Foto zurück. »Ich weiß nicht, ob ich das wirklich kann. Es kommt mir falsch vor.«
»Und was er getan hat, das findest du richtig?« Tränen kullern aus meinen Augen, dabei habe ich die nicht mal bestellt, aber der Gedanke, dass das Schwein davonkommen könnte, macht mich wahnsinnig wütend.
Ally mustert mich bestürzt. »Mila, bitte wein doch nicht, du hast mich falsch verstanden, so habe ich das doch nicht gemeint.«
Das hat sie sehr wohl. Natürlich wollte sie mich nicht kränken, aber sie kann es eben doch nicht glauben – mir ging es ja zuerst auch so. Aber es ist, wie es ist. Der Kerl ist ein Schwein! Und trotzdem sieht es so aus, als müsste ich jetzt schon meinen letzten Joker ausspielen.
Ich hole mein altes Handy aus der Tasche, auf dem ich alle anderen Nachrichten gelöscht habe, nur eine seiner Botschaften ist noch drauf. »Hör dir das an.« Ich stelle auf laut und spiele dann seine Message ab.
»Mila«, brüllt Landgraf ins Telefon, »verdammt noch mal, was fällt dir ein! Wenn du dich nicht an unsere Abmachung hältst, dann wird das schreckliche Konsequenzen für dich haben, ist das klar?«
Ally wird rot. »Er klingt grauenhaft wütend. Das macht mir Angst.«
»Das war, nachdem ich ihm gedroht habe, ihn zu verraten. Natürlich war er so schlau, sich nicht deutlicher auszudrücken, und so hatte ich wieder keinen eindeutigen Beweis. Dafür hatte ich Albträume, was er mir antun könnte.«
Sie legt ihren Arm um mich. »Es tut mir leid. Ich bin sicher, wir kriegen ihn dran. Und wenn du von diesem Albtraum endlich befreit bist, dann machen wir irgendwas Tolles und feiern. Ich glaube übrigens, du hast mich gerade eben auf eine ganz wunderbare Idee gebracht.«
»Ich?« Jetzt bin ich wirklich verblüfft.
»Ja!« Ally grinst wie ein Breitmaulfrosch. »Ich werde Ohrringe machen, Modell: Dr. Jekyll und Mr Hyde – ich kann sie direkt schon vor mir sehen.«
Ich grinse zurück und stecke das Handy wieder ein. Wir stehen auf und Ally ist so begeistert von ihrer eigenen Idee, dass sie sogar vergisst, die mit Grashalmen übersäte Decke auszuschütteln. Auf dem Weg zu ihrer Wohnung, die nur zehn Minuten entfernt ist, erläutert sie mir ausführlich, wie sie sich das alles vorstellt. Ich klatsche begeistert in die Hände, denn ich bin sicher, ihre Idee wird eine sensationelle Wirkung auf Landgraf haben – allerdings eine andere, als sie glaubt.
Während wir zur Wohnung zurückgehen, habe ich wieder den Eindruck, jemand würde uns folgen, und diesmal erzähle ich es Ally und frage sie, ob ihr auch etwas aufgefallen ist.
»Klar.« Ally grinst mich an. »Könnte sein, dass meine Eltern einen Privatdetektiv engagiert haben, um mich zu überwachen.«
»So was würden die tun?« Der Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht. Niemand sollte mir hinterherspionieren! Was, wenn Ally erfahren würde, was ich sonst noch so treibe?
»Na ja, zuzutrauen wäre es ihnen, aber mir ist nichts aufgefallen. Du siehst Gespenster, Mila.«
Gespenster.
9. Ally
Ich habe fast die ganze Nacht an meinem Entwurf gearbeitet, und wenn ich die Ohrringe anschaue, dann bin ich wirklich stolz auf das Ergebnis. Es sind pro Ohr zwei übereinanderliegende, dicke, frei schwingende Silberscheiben. Auf jeder Scheibe ist dasselbe Profil zu sehen, einmal nach links und einmal nach rechts gedreht. Auf der verdeckten Scheibe habe ich das Silberprofil geschwärzt und den Hintergrund rot lackiert, auf der vorderen Scheibe habe ich das Silber heller poliert und den Hintergrund beige lackiert. Die beiden Scheiben werden durch eine kleine Silberkugel voneinander getrennt und sitzen
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