Luegenherz
wie kommen Sie denn ausgerechnet auf so was?« Er hält die Ohrringe auf die Höhe meines Gesichtes und mustert mich eingehend. »Ziehen Sie sie doch mal an.« Er hält sie mir auf seiner ausgestreckten Hand entgegen.
»Auf die Idee haben Sie mich gebracht!«, erkläre ich und bin sehr gespannt, ob er darauf irgendwie reagieren wird oder ob er sich vollkommen unter Kontrolle hat.
Sein rechtes Auge fängt an, hektisch zu zucken, und es kommt mir so vor, als würde er unter seiner Sonnenbräune rot werden.
»Ich …? Aber was habe ich denn mit diesem Monster zu tun?« Seine Mundwinkel versuchen ein Lächeln, das sich aber nicht in seinen Augen widerspiegelt und deshalb merkwürdig halbherzig rüberkommt.
Statt einer Antwort nehme ich die Ohrringe aus seiner Hand, dabei berühren sich unsere Finger. Seine wirken kühl, meine verschwitzt. Ich versuche, den Haken durch mein Ohrloch zu schieben, aber ich schaffe es nicht, weil meine Finger leicht flattern. Ich kriege langsam doch Angst vor meiner eigenen Courage.
Er kommt näher, sehr nah, hüllt mich ein mit dem Limonenduft seines Rasierwassers, das sich mit dem von Fisherman’s Friend vermischt. Seine Hände bewegen sich Richtung Hals und für eine Sekunde habe ich eine Vision von Händen, die sich um meinen Hals legen und zudrücken. Doch er streift nur kurz mein Ohrläppchen, was einen leichten Schauer auslöst, der über meinen Körper jagt und den ich sofort unterdrücke. Mistkerl! Dann hängen die Ohrringe, so wie sie sollen, er tritt zurück und begutachtet mein Werk.
»Dr. Jekyll und Mr Hyde. Nicht übel. Und welcher der beiden soll ich sein?«
Es klingelt an der Haustür. Was für ein Glück, denke ich im ersten Moment, aber dann wird mir klar, so ungeduldig klingelt nur Jury. Was will der denn hier bei mir um diese Zeit?
»Hallo Scarface, Schwesterchen«, brüllt er quer über den Hof, während er seinen zitronengelben Roller hereinschiebt. Er kommt natürlich nicht auf die Idee, dass ich Besuch haben könnte. »Ich wollte mich zu einem Latte bei dir einladen, nachdem ich mit dem fetten Markus ins Schyrenbad gehen musste«, redet er drauflos, und da alle Fenster offen sind, ist hier drinnen jedes Wort zu hören. »Ich wollte ja lieber ins Ungererbad, wo die Models rumhängen. Aber Markus wollte dort wegen seiner Wampe auf gar keinen Fall hin.«
Nachdem Jury den Roller aufgebockt und seinen Helm abgenommen hat, fängt er völlig unmotiviert an, »Was zum Teufel!« zu brüllen, und rennt zu meiner Tür; doch dann entdeckt er, dass ich nicht alleine bin, und verstummt.
Jury fallen fast die Augen aus dem Kopf, als er mein Styling bemerkt, und ich sehe, wie es in seinem Hirn rattert. »Manche mögen’s heiß«, murmelt er so leise, dass nur ich es hören kann, und reicht Landgraf die Hand. »Und Sie sind?«, fragt er dann sehr viel lauter und nimmt mit der anderen Hand die Sonnenbrille ab und steckt sie in seine Haare.
»Tobias Landgraf – und Sie?« Er drückt Jurys Hand und ringt sich ein Grinsen ab.
Jury sieht wie immer aus, nämlich so, als wollte er bei Pro Sieben als Moderator Karriere machen, geleckt und gestylt wie ein Hugo-Boss-Model. Nie im Leben käme man darauf, dass er gerade im Schwimmbad gewesen ist.
»Ich kenne Sie!«, sagt Jury, noch bevor ich erklären kann, wer Landgraf ist.
Landgraf stellt sich etwas gerader hin, sein Grinsen fällt schlagartig von ihm ab. Er wirkt plötzlich angespannt.
»Ja, einen Moment, ich hab’s gleich …«, beginnt Jury, der ein fotografisches Gedächtnis hat.
Er reibt seine Nase, wie immer, wenn er nachdenkt, dann richtet er seinen Zeigefinger auf Landgraf. »Ich hab’s, es war ein Artikel über Sie in der Alpenvereinszeitung, da wurde über Ihre Höhlenklettergruppen berichtet. Sie scheinen ja sehr erfolgreich zu sein bei ihrer Arbeit mit auffälligen Jugendlichen.« Jury schaut von Landgraf zu mir und klatscht dann begeistert in die Hände.
Oh nein, ich sehe, wie es in ihm arbeitet, und da platzt er auch schon raus.
»Das ist toll! Wow – sind Sie deshalb hier? Face, das ist großartig, endlich tust du was gegen deine lächerliche Klaustrophobie.« Jury geht schwungvoll zum Waschbecken, nimmt eins der Gläser, die dort stehen, füllt es mit Leitungswasser und kippt es so schnell hinunter, dass ich es in der Zwischenzeit nicht schaffe zu erklären, wie sehr er sich irrt.
»Ahh, das war bitter nötig. Es ist dermaßen heiß heute. Wissen Sie, seit ich Scarface mal versehentlich in die Kiste da
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