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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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auf einem silbernen Haken, der durchs Ohr geführt wird. Und nur wenn man sich bewegt, kommt das böse schwarz-rote Profil von Mr Hyde hervor – ein toller Effekt, wie ich finde.
    Milas Anwesenheit hat mich genervt. Ich hätte sie gerne aus dem Weg gehabt, denn ich arbeite am liebsten alleine. Dabei wollte sie mir nur helfen, damit es schneller geht, aber sie ist eine handwerkliche Niete und war beleidigt, als ich ihr das gesagt habe. Ich glaube, es gibt nichts in ihrem Leben, das ihr wirklich Spaß macht, deshalb kann sie auch nicht verstehen, dass ich, wenn ich Schmuck herstelle, in eine andere Welt abtauche. Sie denkt dann, sie wäre abgemeldet, und fühlt sich gekränkt, dabei arbeite ich doch bloß. Ich frage mich, ob es überhaupt Freunde gibt, die das verstehen können.
    Mila glaubt, ich vergesse unser Ziel, nur weil ich Spaß am Arbeiten habe. Dabei trifft genau das Gegenteil zu. Das Dr.-Jekyll-und-Mr-Hyde-Motiv hat mich die ganze Zeit daran erinnert, was Landgraf ihr angetan hat, und ich habe versucht, unseren Zorn in die Ohrringe einzuarbeiten. Ich wünschte, es gäbe in Milas Leben auch so eine Möglichkeit, sich auszudrücken.
    Sie war sehr traurig, als sie abends nach Hause zu ihrer Mutter nach Augsburg fahren musste, weil die ihre Hilfe für eine große Hochzeitsblumendekoration gebraucht hat – und ich war erleichtert. Immer wieder musste ich Mila versichern, dass wir Freundinnen sind, egal was passiert. Und sie hat mir das Versprechen abgenommen, sie sofort anzurufen, wenn der Landgraf wieder weg ist.
    So, jetzt müsste er bald da sein. Ich habe mir dasselbe schwarze Kleid angezogen wie gestern. Nur meine Haare hab ich zusammengebunden, weil sie stören, wenn wir uns über die Werkbank beugen.
    Ich bin vollkommen übermüdet. Ich habe beim Arbeiten zu viel an Dr. Jekyll und Mr Hyde gedacht, mich immer wieder gefragt, was in solchen Männern vorgeht. Wie es passieren kann, dass man zwei völlig verschiedene Leben lebt. Dann habe ich Landgrafs Gesicht vor mir gesehen, wie ich es kenne, und dann wütend verzerrt und bösartig – so, wie er wahrscheinlich ausgesehen hat, als er Mila auf die Mailbox gesprochen hat. Und ich war entsetzt, als mir klar wurde, dass es wirklich sein kann, dass Landgraf zwei Gesichter besitzt.
    Jetzt bin ich so nervös, dass ich bei jedem Geräusch vom Hof zusammenzucke, und nur meine Müdigkeit verhindert, dass ich völlig ausraste. Ich stöckle auf den weiß lackierten Holzdielen hin und her, wische hier und da noch ein paar Stäubchen weg und muss wieder an Milas Foto denken und wie wütend Landgrafs Anruf klang.
    Was ist, wenn er zudringlich wird?
    Ich lege mein großes Küchenmesser so auf die Werkbank, dass ich im Zweifelsfall gut rankomme, und stelle mein Handy schon mal auf Fotofunktion – nur für den Fall, es ergäbe sich eine passende Gelegenheit …
    Als es klingelt, zucke ich wieder zusammen und mein Herz fängt trotz meiner Müdigkeit an zu rasen. Ich mache auf und gehe ihm über den Hof entgegen.
    Er begrüßt mich lächelnd, aber er hat dunkle Ringe unter den Augen und sieht abgekämpft aus. Ein müder Kurt Russell also heute, der offensichtlich wie ich letzte Nacht nicht viel geschlafen hat.
    »Hier wohnen Sie also …« Er sieht sich anerkennend um und pfeift leicht durch die Zähne, was – ohne dass ich das möchte – ein freudiges Ziehen in meinem Bauch auslöst.
    Er ist ein mieses Schwein, vergiss das nie!, ermahne ich mich selbst. Das ist seine Masche. Zu Mila war er zuerst ja auch freundlich …
    »Also, wo sind denn nun die Entwürfe?«
    »Hier!« Ich zeige auf die Ohrringe, und obwohl ich weiß, was für ein Idiot er ist, schnürt mir die Angst vor seinem Kommentar die Kehle zu. Und es beschämt mich, erkennen zu müssen, dass ich viel mehr Angst davor habe, er würde sie wieder mit verächtlichen Worten abstempeln, als davor, was er mir antun könnte.
    »Gute Entscheidung, von der Brosche auf Ohrringe zu gehen. Interessant …«, sagt er und bewegt die Ohrringe leicht hin und her, sodass die hinteren Scheiben hervorblitzen. »Das erinnert mich an etwas, aber ich weiß nicht, an was. Helfen Sie mir auf die Sprünge.«
    Interessant hat er gesagt, das erleichtert meine Handwerkerseele, und erst jetzt kann ich mich wieder auf unser Projekt konzentrieren. Mal sehen, wie er reagiert.
    »Ich nenne sie ›Dr. Jekyll und Mr Hyde‹«, sage ich und muss sehr tief atmen, damit meine Stimme nicht so zittrig klingt.
    »Dr. Jekyll und Mr Hyde … Also wirklich,

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