Luegenherz

einen blickdichten Vorhang zu besorgen, dann hat sich das mit dem Spanner auch erledigt.
    Als ich zurück in die Garage gehe, ist es anders als sonst. Irgendwie fühle ich mich hier gar nicht mehr wohl, nicht nur wegen diesem Typen, den mein Bruder gesehen hat, nein, es waren auch zu viele Leute hier. Ich glaube, ich werde erst mal gründlich durchputzen. Und dabei kann ich über dieses ganze Chaos nachdenken, das gerade mein Gehirn vernebelt. Putzen hat mir schon immer geholfen.

10. Mila
    Beinahe wäre alles herausgekommen, weil sich Ally eingebildet hat, sie müsste unbedingt zu mir fahren und mein Zuhause kennenlernen.
    Mein Zuhause. Meine Eltern. Guter Witz!
    Sie war dermaßen aufgeregt, weil sie auf die Idee gekommen ist, wirklich zum Höhlenklettern zu gehen, um dort eine Situation zu provozieren, die uns endlich die richtigen Bilder bringen wird. Innerlich hab ich laut Juhu geschrien, aber nachdem Ally mich vorgestern am liebsten nach Hause geschickt hätte, weil sie in Ruhe arbeiten wollte, habe ich nachgedacht. Ihre Arbeit ist ihr offensichtlich wichtiger als ich und ihr war nicht klar, wie sehr sie mich damit verletzt hat. Ich war ihr plötzlich vollkommen egal, ja, ich war ihr sogar lästig! Und dafür soll sie bezahlen, so wie sie alle bezahlen werden für das, was sie mir angetan haben.
    Doch dann ist mir auch klar geworden, dass ich aufpassen muss, damit Ally nicht zu früh den Braten riecht oder aussteigt. Ich glaube nämlich, ich habe einen Fehler gemacht. Wir müssen mehr zusammen unternehmen, ich muss sie noch stärker an mich binden. Es darf nicht wieder so laufen wie beim letzten Mal, als ich meinen Plan umsetzen wollte. Ich muss es schaffen, dass ich ihr wichtiger bin als er. Muss gegen sein verdammt harmloses Image kämpfen und gleichzeitig unsere Freundschaft stärken. Deshalb habe ich versucht, ihr das mit dem Höhlenklettern auszureden, bin sogar richtig sauer geworden, habe gesagt, es wäre zu gefährlich, das ginge nicht, das könnte ich nicht verantworten und als dramatischen Schlusspunkt habe ich dann sogar einfach aufgelegt.
    Spitzenidee.
    Die nur dazu geführt hat, dass ich mit Bauchweh und Herzrasen neben dem Telefon klebte, weil ich mir nicht sicher war, ob sie zurückrufen würde. Ich an ihrer Stelle hätte mich jedenfalls nie wieder bei ihr gemeldet. Ich konnte nur hoffen, dass Ally anders tickte als ich. Aber wie ich aus bitterer Erfahrung weiß, kann man niemals sicher sein. Denn nach allem, was ich über ihn herausgefunden habe, glaube ich nur eins: Man kennt niemanden wirklich.
    Und so habe ich wie gelähmt neben dem verdammten Telefon gehockt, versucht, an etwas anderes zu denken, aber immer wieder hat sich nur sein Gesicht vor mein inneres Auge geschoben. Wie er scheinheilig sein blondes großes Frauchen und das Söhnchen küsst, als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Als wäre das richtig!
    Bei dem Gedanken daran, dass meine perfekte Rache scheitern könnte, war mir, als müsste erst mein Kopf platzen und dann alles andere. Als wäre meine Haut zu eng für meinen Körper. Ameisen kribbelten innen an der Haut entlang und wollten, dass ich sie befreie, irgendwo ein Loch reinritze, aus dem sie fliehen können.
    Ich hab sogar das verdammte Telefon angefleht, hab gewinselt, dass es endlich klingeln soll, habe versprochen, wenn sie jetzt gleich anruft, werde ich mich nie, nie wieder ritzen, wenn sie jetzt anruft, dann werde ich sie schonen.
    Dann nach mehr als zwei endlosen Stunden hat sie angerufen, sich entschuldigt und vorgeschlagen, nach Augsburg zu kommen. Sie hat mir versichert, wie gerührt sie darüber ist, dass ich zuerst an sie denke und dann an mich.
    Wie gut sie mich doch kennt!
    Dann habe ich mich daran erinnert, dass ihre Oma ein Kino hatte und sie deshalb auf Filme abfährt. Also habe ich ihr die Idee, mich zu besuchen, ausgeredet und sie stattdessen davon überzeugt, dass wir uns in München treffen und später aufs Filmfest gehen könnten.
    Jetzt sind wir hier vor dem riesigen roten Ziegelsteinklotz, dem Gasteig, in dem das Hauptquartier des Filmfests untergebracht ist. Und seit ich hier im Hof stehe, wo eine gigantische Leinwand aufgebaut ist, auf der spätabends kostenlos Filme gezeigt werden, habe ich wieder das Gefühl, jemand schleicht hinter mir her.
    Ich habe zwei Karten besorgt, sie gerade Ally gegeben und ihre fertigen Ohrringe bewundert. Sie sehen wirklich cool aus, jedes Mal wenn sie ihren Kopf ein wenig bewegt und die Ohrringe zu schaukeln