Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
Vom Netzwerk:
den Boden. Landgraf und er bücken sich gleichzeitig und stoßen sich dabei die Köpfe an. Keiner sagt ein Wort, Jury setzt die Brille wieder auf seine Haare und räuspert sich. »Ich bin mir ganz sicher, dass ich auch noch in einem anderen Zusammenhang von Ihnen gehört habe.«
    »Das kann gut sein, ich bin in der Jury der bayerischen Handwerkskammer und arbeite in Augsburg als Dozent an der Fachhochschule für Gestaltung.« Landgraf klingt wieder so arrogant wie immer und macht einen Schritt auf die Tür zu, wo er demonstrativ auf seine Armbanduhr schaut. »Und nun muss ich leider gehen.«
    Das ist schlecht, ich sollte mich jetzt und hier mit ihm für eine Klettertour verabreden, damit Jury mir glaubt und ich mich seelisch darauf vorbereiten kann. Mila wird begeistert sein, denke ich, und schlüpfe mühelos in die Rolle, die Jury mir aufgezwängt hat.
    »Also, wann holen Sie mich dann ab?«, frage ich Landgraf und zwinkere ihm zu.
    »Am nächsten Samstag. Bis dahin brauche ich noch Ihre Kleidergröße« – er wendet sich mit einem ironischen Gesichtsausdruck an Jury – »… wegen dem Schlaz, aber das wissen Sie als Leser der Alpenvereinszeitung ja bestimmt!« Dann schaut er wieder zu mir: »Außerdem brauchen Sie einen Helm, eine Taschenlampe mit frischen Batterien, wasserfeste Wanderstiefel und unbedingt auch Handschuhe.«
    Allein diese Aufzählung bewirkt, dass mir leicht übel wird.
    Jury entspannt sich. »Hey, was halten Sie davon, wenn ich mitkomme?«
    »Nichts!«, sagen wir beide wie aus der Pistole geschossen.
    Ich gebe ein Kichern von mir, um die Spannung runterzuschrauben. »Jury, du wärst wirklich der Allerletzte, den ich dabeihaben wollte.«
    »Ja, das wäre äußerst kontraproduktiv«, bestätigt Landgraf ernsthaft und wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich muss los. Jury, es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Und Ally, wir sehen uns dann also am Samstagmorgen um sechs Uhr.«
    Ich kann mir gerade noch ein ungläubiges »so früh« verkneifen und reiche ihm die Hand. Er drückt sie fester als nötig und schaut mir tief in die Augen, als wäre dort eine verborgene Botschaft an ihn versteckt, die er unbedingt entschlüsseln muss, doch schließlich grinst er wieder in Kurt-Russell-Manier und weg ist er.
    »Tequila Sunrise! Das ist es!«, sagt Jury plötzlich. »Er sieht aus wie der junge Kurt Russell, der den Bullen spielt! Sein Freund ist Mel Gibson und beide sind hinter Michelle Pfeiffer her, aber er kriegt sie nicht.« Jury schnippt mit den Fingern. »Ich wusste doch, ich habe diese Visage schon mal irgendwo anders gesehen. Also Scarface, krieg ich jetzt endlich einen Latte?«
    »Kaffee ist alle«, behaupte ich, weil ich ihn loswerden will. In letzter Zeit war viel zu viel los. Ich bin es gewohnt, meine Ruhe zu haben, und auch wenn Jury mein Bruder ist, habe ich gerade einfach keinen Nerv, gemütlich mit ihm Kaffee zu trinken. Außerdem hasse ich es, wenn er mich Scarface nennt. Schließlich habe ich die Narbe über der linken Augenbraue nur deshalb, weil er sie mir bei einem Schwertkampf zugefügt hat.
    Das Einzige, woran ich gerade denken kann, ist Mila und dass ich sie anrufen und von unserem neuesten Plan erzählen muss.
    »Face, wenn du keinen Kaffee mehr hast, dann geh doch einfach mit mir in die Eisdiele am Roecklplatz. Ich fahre dich auch wieder zurück und einen zweiten Helm habe ich auch dabei.«
    »Muss noch was für die Schule machen …«, murmle ich, weil ich nachdenken muss – und aufräumen, und zwar in aller Ruhe. Außerdem ist er schuld, dass ich jetzt nicht erfahren habe, was Landgraf wirklich von meinen Ohrringen hält. Und in der gleichen Sekunde, in der ich das denke, frage ich mich, ob ich noch ganz richtig im Kopf bin. Wie kann es sein, dass mir das Urteil eines Mannes, der eigentlich hinter Gitter gehört, etwas bedeutet? Gibt es etwas, das mir wichtiger ist als Freundschaft? Wichtiger als Mila?
    »Scarface, was ist denn los mit dir?«
    Ich zucke zusammen. Jury steht immer noch vor mir, ich habe ihn vollkommen vergessen.
    »Hey.« Er legt den Arm um meine Schultern. »Ich kann mir vorstellen, dass das eine große Sache für dich ist mit dieser Höhle. Das macht dir sicher Angst. Hab ich dir eigentlich jemals gesagt, dass mir das unendlich leidtut, was ich damals mit der Truhe angestellt habe?«
    »Nein, hast du nicht. Noch nie.« Jury gibt zu, einen Fehler gemacht zu haben! Was für ein Tag!
    Seine hellblauen Augen funkeln mich an. »Und das Tolle ist,

Weitere Kostenlose Bücher