Luegenherz
beginnen, dann blitzen die dunkelroten Gesichter auf wie kleine Teufel. Sie weiß gar nicht, wie treffend sie Landgrafs Leben damit dargestellt hat.
»Ein französischer Thriller, das klingt ja toll.« Ally betrachtet die rosa Karten, als wären es Diamanten, dann umarmt sie mich stürmisch und ich drücke sie fest, weil ich so froh bin, dass sie auf meiner Seite ist.
»Das ist so lieb von dir!«, sagt Ally, als sie sich von mir löst. »Bisher war ich immer nur allein im Kino oder mit Jury.«
»Was ich nicht kapiere, ist, wieso gehst du ins Kino, wenn du doch gar keine Menschenmassen magst?«
»Ganz einfach!«, Ally grinst, »im Kino hat jeder einen eigenen Platz und es dürfen auch nicht mehr Leute rein, als es Sitze gibt. Ich gehe sowieso nur in alte Filme oder zu Uhrzeiten, zu denen sonst keiner schaut. Außerdem gibt es eine Klimaanlage. Und ich häng immer meine Jacke so über den Sitz, dass ich ihn nicht berühren muss – falls der vor mir Kopfläuse hatte.«
Ich bin sicher, sie meint das ernst, obwohl sie leise kichert.
Während wir zum Eingang gehen, drehe ich mich immer wieder um. Ob ich vielleicht wegen meiner Rachepläne anfange, Gespenster zu sehen?
Wir sichern uns Plätze am Rand, damit Ally das Gefühl behält, jederzeit wegrennen zu können.
Dabei ist es dazu schon längst zu spät.
11. Ally
Mila sieht ganz anders aus, wenn sie schläft. Nicht so stark. Ich überlege schon seit einer Weile, was für ein Wort dieses Anderssein beschreiben würde. Wenn ich es wüsste, könnte ich mir überlegen, wie sich das Wort in Silber umsetzen lässt. Das Einzige, was mir einfällt, ist »arm«, aber das stimmt so ja nicht. Unter ihren Augen liegen dunkle Schatten und ihr Mund ist so fest zusammengepresst, als wollte sie verhindern, dass ihr im Schlaf etwas entschlüpft. Plötzlich fällt mir das Wort »Opfer« ein. Aber das will ich nicht denken, dieses Wort würde sie hassen.
Im fahlen Morgenlicht stechen ihre Wangenknochen viel stärker hervor als sonst. Sie hat ihren Kopf mit den üppigen schwarzen Haaren über ihren vernarbten Arm gelegt, als wollte sie ihn damit verdecken, und sie atmet kurz und schnell. Sie wirkt angespannt, sogar im Schlaf, dabei war der Abend im Kino gestern echt schön. Wir haben gar nicht mehr über Landgraf geredet oder übers Ritzen, sondern nur über den Thriller und dann über Filme. Ich fürchte, ich habe sie ganz schön zugelabert.
Ich fand den Thriller ziemlich dämlich, irgendwie typisch französisch eben: viele Schweigeszenen mit langen Blicken und Wein trinken und rauchen, langweilige Totalen in sehr dunklen Räumen und bedeutungsschwangere Musik. Zwei Frauen hatten sich zusammengetan, um einen Mann zu töten, aber am Ende hat sich dann rausgestellt, dass der Mann doch nicht tot war, sondern die eine Frau war seine Geliebte und die beiden haben die andere Frau reingelegt. Ich glaube, es gibt so eine ähnliche Story schon mit Alain Delon, die wesentlich besser ist. Von dem hatte Mila natürlich noch nie was gehört. Mila fand den Film super, ich nicht. Er war wirklich purer Schwachsinn. Ziemlich konstruiert. Man merkt doch ganz genau, wenn jemand nicht ehrlich ist, oder zumindest nach einiger Zeit muss man doch etwas merken. Das fand Mila auch, aber sie meinte – und davon war sie nicht abzubringen –, dass man sich da abartig täuschen könnte. Es gäbe perfekte Lügner, denen man nichts anmerken würde. Menschen mit einem Lügenherz.
Ich glaube das nicht. Selbst wenn man mit einer Lüge ein Mal durchkommt, das hält man doch nicht durch. Als Mams mal eine Affäre hatte, und Mama kann lügen wie ein Politiker, hat es sogar Paps nach einer Weile gemerkt, allerdings erst lange nach Jury und mir.
Deshalb bin ich auch froh, wenn ich morgen das Höhlenklettern hinter mich bringen kann – schließlich sehe ich den Landgraf fast jeden Tag in der Schule. Heute werde ich ihn darum bitten, dass wir wirklich am Samstag in eine Höhle gehen. Ich werde es so drehen, dass er mir helfen muss, ein altes Trauma zu überwinden. Und wenn nicht diesen, dann nächsten Samstag. Jedenfalls so schnell wie möglich.
Und Mila gebe ich erst Bescheid, wenn er zugesagt hat. Sie hat sich wahnsinnig aufgeregt, als ich ihr von dem Plan erzählt habe.
Plan … Das Wort klingt so groß – und die Konsequenzen erscheinen mir noch viel größer. Ich weiß jetzt zwar, wie wir an Bilder kommen, aber ich verbiete mir, das Ganze zu Ende zu denken. Wenn wir wirklich Fotos von ihm und mir ins Netz
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