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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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Polizeibeamte unbrauchbar.«
    Mir läuft eine Gänsehaut über den Rücken. Obwohl er so schlau ist, hat er keine Ahnung, was in der Höhle wirklich passieren wird. Ich glaube, das, was ich da fühle, nennt man Mitleid.
    Aber Mitleid ist dumm. Mitleid ist verlogen, erhebt den, der es fühlt, über den, dem es gilt. Manche lügen sogar aus Mitleid und machen damit alles noch schlimmer. Da ist es doch viel ehrlicher, zornig zu sein oder verständnislos. Und Zorn habe ich genug in mir.
    »Es ist mir fast ein bisschen peinlich, das zu sagen …« Jurys blaue Augen strahlen und nehmen so die Farbe eines goldenen Sonnenuntergangs an. »Aber was ich definitiv toll an dem Ganzen finde, ist, dass ich jetzt in eine Höhle komme, in der ich sonst niemals geklettert wäre. Woher hast du eigentlich davon gewusst?«
    »Ally hat mir erzählt, dass Landgraf sie zu einer ›geheimen Höhle‹ gebracht hat. Also habe ich mich ein bisschen umgehört und mitgekriegt, dass er für viel Geld Leute mit in ›seine‹ Höhle nimmt.«
    Jury verzieht angewidert seinen Mund. Dann mustert er mich eindringlich mit seinen Riesenaugen. »Mila, was meinst du, nachdem wir Ally gerächt haben, könnten wir dann mal zusammen ausgehen? Du bist so anders als alle Mädchen, die ich bisher getroffen habe.«
    Ich kann nicht verhindern, dass sich mein Magen merkwürdig verhält, so als würde ich gerade eine steile Rutsche runterrasen. Lächerlich, sage ich mir, das ist einfach lächerlich! Niemand hat sich jemals wirklich für mich interessiert. Für meine Eltern war ich nur ein leidiger Unfall, den sie nicht gewollt haben. Viel zu früh, haben sie mir erklärt, sei »es« passiert, aber sie würden mich »trotzdem lieben«. Natürlich habe ich mich da angestrengt, die Beste in der Schule zu sein und sie nicht zu enttäuschen. Habe versucht, Papa zu amüsieren, damit er nicht so oft von zu Hause weg und Mama dann traurig ist. Habe gehofft, dass ich Geschwister kriegen würde oder ein Haustier, aber umsonst. Mama ist immer nur dann aufgeblüht wie eine ihrer englischen Teerosen, wenn Papa in ihrer Nähe war. Alles andere war für sie nur lästig: Elternabende, Sommerfeste, Theateraufführungen. Und sie hat immer mir die Schuld gegeben, wenn er wieder einmal nicht nach Hause kam. »Dein Vater ist eben ein unabhängiger Geist«, hat sie dann auf dem Sofa liegend zu mir gesagt. »Für ihn ist eine Familie und vor allem ein Kind ein Klotz am Bein, das ihn daran hindert, kreativ zu sein. Da braucht er eben diese Zeit für sich.«
    Und wenn ihre Freundinnen wissen wollten, warum sie immer noch nicht verheiratet ist, dann hat sie seine Sprüche zitiert, aber so getan, als wäre es ihre eigene Meinung, zum Beispiel: Die Ehe wäre ja schon eine wunderbare Erfindung, aber das sei eine elektrische Zahnbürste ja auch. Nein, die Liebe sollte frei sein und bleiben.
    Ich habe ihr diesen Schwachsinn abgenommen und versucht, sie über seine Abwesenheit hinwegzutrösten. Bis ich rausgefunden habe, was für ein verlogenes Spiel das war. Was für ein böses, menschenverachtendes Spiel.
    Und als ich mich Carolina anvertraut habe, hat sie sich umgebracht. Als ich mich Tom anvertraut habe, hat er die Flucht ergriffen. Und als ich mich Ally anvertraut habe, hat sie mich verraten.
    Da müsste ich schön blöd sein, auf das Getue von diesem reichen Schnösel reinzufallen.
    Jurys blaue Himmelaugen fixieren mich immer noch. Er wartet auf meine Antwort.
    »Ich weiß es nicht«, sage ich, obwohl es ehrlicherweise heißen müsste: »Nie im Leben«, denn ich weiß, dass es kein Danach für ihn geben wird.
    Er sieht sehr enttäuscht aus.
    Vielleicht, murrt da eine lästige Stimme in meinem Kopf, die mit dem unkontrollierten Gefühl im Bauch verwandt sein muss, vielleicht könntest du dich doch damit anfreunden, dass Jury überlebt. Aber dann wird es nicht nach einem Unfall aussehen. Und damit wäre mein schöner Plan ruiniert.

25. Ally
    Den Ausflug zum Revier hätte ich mir wirklich sparen können. Die Polizisten von gestern Abend hatten keinen Dienst und die zwei Kolleginnen, die da waren, haben mir ziemlich gelangweilt mitgeteilt, dass man nur die Personalien überprüft und ihn dann mit einer Verwarnung wieder laufen gelassen hätte, weil er noch nie auffällig gewesen sei. Aber sie haben mir empfohlen, beim nächsten Mal Anzeige wegen Hausfriedensbruch zu erstatten. Beim nächsten Mal! Und sie wollten mir nicht mitteilen, wie der Typ heißt. Ganz egal, was ich ihnen vorgejammert

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