Luegenherz
Telefon und beginne, einen nach dem anderen abzutelefonieren. Nach zwei Stunden bin ich bei W angelangt und je länger ich Blumen Weigand anschaue, desto sicherer bin ich mir, dass das der Name ist, den Mila erwähnt hat.
Ich überlege, was genau ich sagen soll, damit ich an den Typen rankomme – schließlich weiß ich ja noch nicht mal seinen Vornamen. Und selbst wenn es ein Freund oder Bekannter von Mila ist, heißt das noch lange nicht, dass auch Milas Mutter ihn kennt. Mams hat meine Freunde nie zu Gesicht bekommen und die Heerscharen von Jurys Freundinnen kennt sie auch nicht alle.
Egal, ich kann mir hier noch tagelang Horrorszenarien ausmalen, ich rufe jetzt an.
»Blumen Weigand, Guten Tag«, meldet sich eine freundliche, eher leise Stimme.
»Entschuldigung, ich bin auf der Suche nach Mila.«
»Die ist leider nicht da. Haben Sie es schon bei ihr auf dem Handy versucht?«
Endlich bin ich richtig, denke ich und versuche, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. »Ja, habe ich, aber dummerweise kommt immer eine Störungsansage, aber vielleicht können Sie mir auch helfen. Mila war mit einem Freund bei mir und der hat hier seinen Hausschlüssel liegen lassen. Ich würde ihm gern sagen, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht, weil der Schlüssel hier ist. Aber ich weiß nicht, wie er heißt und wo er wohnt.«
Das Schweigen in der Leitung dauert ewig und nur das leise Atmen am anderen Ende verrät, dass Frau Weigand noch nicht aufgelegt hat. Hoffentlich merkt sie nicht, wie bescheuert diese Geschichte ist – warum sollte ich noch nicht mal den Namen dieses Typen kennen? Ich bekomme einen Schweißausbruch und bin froh, dass man mein knallrotes Lügengesicht durchs Telefon nicht sehen kann.
»Und wer sind Sie?«, fragt Frau Weigand dann endlich.
»Milas Freundin aus München.«
»Milas Freundin?« Ungläubiges Nachhaken.
»Ja, warum fragen Sie?«
»Das freut mich, Mila erzählt mir nicht so viel.«
»Dann kennen Sie gar keine Freunde von ihr?«
»Tut mir leid, nein. Der Einzige, an den ich mich erinnere, ist Tom. Tom Linder, aber von dem habe ich keine Nummer.«
»Das ist schon okay. Jetzt fällt’s mir auch wieder ein«, lüge ich weiter. »Tom war sein Name. Also, vielen Dank und Auf Wiederhören.«
Ich lege schnell auf und mache mir keine große Hoffnungen, dass er der Typ sein könnte. Trotzdem gebe ich seinen Namen bei der Bildersuche auf Google ein. Na super, es gibt circa zweihundertvierzehntausend Ergebnisse. Okay, das sind zweihundertvierzehntausend Chancen. Doch selbst wenn ich weniger als eine Sekunde für ein Bild brauche, wird das eine lange Nacht.
Ich koche mir einen Kaffee und setze mich anschließend wieder vor den Rechner. Alles ist besser, als noch länger im Nebel herumzustochern. Während ich ein Foto nach dem anderen anschaue – Bilder von Vereinen, Politikerporträts, Spaßbilder und Firmenfotos –, überlege ich, was es noch für Möglichkeiten gäbe. Jury könnte bei der Polizei anrufen und einen auf Anwalt machen und vielleicht würde er ja so den Namen von dem Typen herausbekommen – aber die Option verwerfe ich erst einmal. Auf Jury bin ich gerade genauso schlecht zu sprechen wie auf Mila.
Ich klicke mich durch unzählige Fotos, ohne Erfolg. Dann beschließe ich, es mit den Seiten meiner Glückszahlen zu versuchen, aber Fehlanzeige. Schließlich gebe ich noch Zusatzbezeichnungen ein wie Augsburg, Schule, Sport – nichts.
Immer wieder schiele ich zum Fenster, diesmal in der Hoffnung, der Typ würde dort aufkreuzen, aber natürlich tut er das nicht. Trotzdem bilde ich mir ständig ein, es wäre jemand da.
Ich trinke einen Kaffee nach dem anderen, um wach zu bleiben. So gegen drei Uhr gestehe ich mir ein, dass das eine vollkommen schwachsinnige Idee war. So viele Bilder sind drei- und vierfach vorhanden und man fängt an, nur noch einen oberflächlichen Blick auf die Seiten zu werfen.
Ich stehe auf und vertrete mir die Beine. Draußen wird es allmählich hell, vereinzelt zwitschern schon ein paar Vögel. Ich muss ausgiebig gähnen und mich strecken. Noch zehn Seiten, nehme ich mir vor, dann gebe ich auf.
Ich setze mich wieder hin, vielleicht hätte ich doch besser alle Linders in Augsburg durchtelefonieren sollen, anstatt zu prüfen, ob der …
Bingo!
Ich kann es kaum fassen – da vor mir, das ist der Typ. Er heißt also wirklich Tom Linder. Ungeduldig klicke ich auf das Bild, um es zu vergrößern. Wenige Sekunden später öffnet sich die Homepage der
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