Luegenherz
Sehnsucht, das ist alles.«
»Sehnsucht, das glaubst du ja selbst nicht, oder? Aber es ist auch egal, denn ich wollte dich sowieso etwas fragen, aber es ist ein bisschen heikel.«
»Schieß los.« Jetzt schaut er mir wieder ins Gesicht, aber so, als würde er schreckliche Neuigkeiten erwarten.
Ich überlege, ob ich mit dem Spanner anfange oder mit Milas Geschichte, und weil ich feige bin und keine Lust auf seine Vorhaltungen habe, fange ich mit Mila an.
»Wenn ein Mann ein Mädchen missbraucht und man hat keine Beweise …«
»Um Gottes willen, Ally!« Jury klingt heiser, räuspert sich ein paarmal. »Ally, du musst mir nichts …«
»Es geht nicht um mich, sondern um eine Freundin.«
»Ah ja, eine Freundin, natürlich, klar.«
»Um genau zu sein um Mila.«
»Klar. Mila.«
»Warum wiederholst du alles, was ich sage?«
»Tue ich das?« Er klingt ehrlich überrascht, aber was mich total nervös macht, ist die Tatsache, dass er besorgt wirkt.
»Also, irgendwas stimmt nicht mit Mila. Ich glaube, sie hat Schreckliches durchgemacht, aber das rechtfertigt nicht, dass sie von mir verlangt …«
»Mila hat also Schreckliches durchgemacht?«
»Jetzt hör doch mal auf, wie ein Papagei mit mir zu reden. Also Mila …«
Er fällt mir ins Wort und legt mir die Hand auf den Arm. »Vielleicht sollten wir lieber über dich reden, anstatt über Mila.«
»Über mich gibt es aber nichts zu sagen.«
»Bist du dir da ganz sicher?« Er betrachtet mich so forschend und irgendwie besorgt, dass ich spüre, wie ich im Gesicht noch röter werde, als ich es wegen der Hitze sowieso schon bin. Ahnt er, dass ich doch in der Höhle war?
»Es ist okay, vollkommen okay, wenn du nicht mit mir darüber sprechen willst. Mila und ich haben uns schon überlegt, wie wir dir helfen können.«
Mila und er? Ich putze meine Hände an der billigen dünnen Serviette ab, noch gründlicher als sonst, um Zeit zum Nachdenken rauszuschinden.
»Willst du noch ein Eis?«
»Mila und du? Seit wann seid ihr so dicke Freunde?«
»Hey, hey, Schwesterchen, da läuft nichts, obwohl sie echt ziemlich attraktiv ist. Sie hat sich einfach Sorgen um dich gemacht und deshalb ist sie zu mir gekommen.«
Entgeistert starre ich ihn an und habe das Gefühl, im falschen Film zu sein. »Sie hat sich Sorgen um mich gemacht.« Irritiert schüttle ich den Kopf. »Ich wollte mit dir über sie reden. Sie hat Probleme. Gewaltige Probleme.«
Jury legt seinen Arm um mich. »Hey, hey, schsch, Face, ich verstehe das, du kannst es mal wieder nicht zugeben. Weil es passiert ist, obwohl ich dich gewarnt habe. Klar, wenn du auf mich gehört hättest, dann …« Er hört abrupt auf und beisst sich auf die Lippen. »Entschuldige, das hätte ich nicht sagen sollen. Es tut mir leid, so leid.« Und jetzt umarmt er mich so fest, dass sich unsere feuchten Kleider berühren. Ich stoße ihn weg.
»Was läuft hier eigentlich ab?«
»Gar nichts, Face, mach dir keine Sorgen. Wir kümmern uns um dich.« Er schaut hinter mich und sieht plötzlich unendlich erleichtert aus.
Arme umschlingen von hinten meine Taille und ich erkenne sofort diesen speziellen Duft von Mila. Und obwohl mich das gerade total überrascht hat, mag ich diesen Geruch – ich würde mich am liebsten umdrehen und sie in die Arme nehmen und bei ihr ist es mir auch egal, wie nass geschwitzt ihre Kleider sind.
»Danke, Jury, dass du das eingefädelt hast.« Sie lässt mich los und stellt sich zwischen Jury und mich.
Ich schaue zwischen den beiden hin und her. Was soll das denn jetzt?
»Ich hab mir solche Sorgen gemacht, als du dich nicht mehr gemeldet hast! Ich habe zigmal auf deine Mobilbox gesprochen, aber du hast mich nie zurückgerufen, da habe ich Jury um Hilfe gebeten.« Sie zwinkert ihm zu und denkt, ich sehe es nicht.
»Wenn so etwas passiert, dann ist es wichtig, dass man darüber spricht«, sagt sie und nickt dazu.
»Aber ich habe dich angerufen – du hast dich einfach nicht mehr gemeldet.«
Mila und Jury werfen sich einen Blick zu, als hätte ich genau das gesagt, was sie von mir erwartet haben. So als wäre ich eine Dreijährige, die trotz Schokospuren am Mund ihren Eltern weißmachen will, dass ihr böser Kuschelhase alle Schaumküsse aufgegessen hat. Und ganz genau wie eine Dreijährige würde ich am liebsten aufstampfen, mich auf den Boden werfen und heulen. Was zum Teufel geht hier vor?
»Jury, du wirst doch Mila nicht mehr glauben als mir, oder?«
Wieder dieser Scheißblick.
»Jury, dann frag Mila
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