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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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zurücklassen.
    »Okay.« Ally hängt kraftlos und schlapp an mir wie ein Sack Mehl, der nass geworden ist. Schweiß läuft mir über die Stirn, obwohl es in der Höhle so kalt ist, dass ich meinen Atem in kleinen Wölkchen vor mir sehen kann. Immer wenn wir ins Taumeln geraten, muss ich mich an den Felsspitzen festhalten. Manche sind scharf wie Dolche und schneiden mir in die Hand, andere weich und rund und nie weiß man, was einen erwartet.
    »Mila, warum bist du hier?«, fragt Ally plötzlich. »Wolltest du sehen, wie wir alle sterben?«
    »Du solltest nicht reden, das strengt dich zu sehr an.«
    »Wenn ich wach bleiben soll, dann musst du mir antworten, Mila.« Ally ist kaum zu verstehen, aber sie redet trotzdem weiter. »Warum hast du mir nie gesagt, dass Landgraf dein Vater ist, und wieso diese Story mit der Vergewaltigung?«
    »Wir haben es gleich geschafft, nur noch ein winziges Stück«, lenke ich ab und zerre uns weiter, weg von dem fiesen Steg Richtung See.
    »Mila, du schuldest mir was, also …« Ally sackt in sich zusammen.
    Ich greife unter ihre Arme und ziehe sie so die letzten Zentimeter über die Schlucht in den nächsten Höhlengang, dort bette ich sie an die Wand, die hier rund und ausgewaschen ist, dann lasse ich mich keuchend neben sie fallen.
    Ich muss die ganze Zeit ihr blutendes Bein anstarren, es erinnert mich an den lächerlich kleinen Blutfleck auf meiner Hose damals an der Isar. Wie konnte das alles passieren? Ich weiß nicht, wie ich Ally erklären soll, was ich selbst kaum verstehe. Kann man überhaupt verstehen, warum Hass für mich so viel leichter zu ertragen war als meine Angst und das Einsamsein? Oder warum der Hass meinem Leben ein Ziel, eine Aufgabe und damit einen Sinn gegeben hat?
    »Hallo?« Das ist Landgrafs Stimme und sie klingt nicht allzu weit entfernt. Ich werfe einen Blick auf Ally, die mit geschlossenen Augen daliegt, dann stehe ich auf und mache mich daran, die beiden zu suchen.
    »Hallo!«, brülle ich, so laut ich kann. »Wo seid ihr? Könnt ihr mich hören?«
    »Wir sind hier!«, kommt es von Landgraf. »Beeilung, wir haben einen Schwerverletzten hier.«

38. Ally
    Mir ist kalt und ich bin steif, als wäre mein Hintern am Boden festgefroren. Kann kaum meine Augen aufmachen und nachdem ich es geschafft habe, brauche ich einen Moment, um zu verstehen, wo ich hier bin. Mein Blick fällt auf weiße, wie Rosen aussehende Blumen, die über mir an der rötlichen Decke hängen. Es riecht nicht nur nach Erde und Schlamm, sondern auch nach Metall, wie Rost. Mein linkes Bein klopft und pocht, aber es macht mir nichts aus, weil sich mein Kopf anfühlt, als wäre er in ein gewaltiges Kissen von Schwanenfedern eingenäht und nur meine Augen schauen raus. Meine Hände liegen in gelbem Schlamm und eisiges Wasser läuft unter mir durch.
    Und plötzlich fällt mir alles wieder ein.
    Jury! Ich muss wissen, was mit Jury ist. Ich versuche aufzustehen, aber mir ist ziemlich schwindelig und ich falle wieder hin. Okay, dann bleibe ich eben liegen.
    Neben mir kriecht eine Spinne die Wand hoch, eine große Spinne. Ist mir egal. Jury hat mir mal Spinnen in Einmachgläsern unters Bett gestellt, weil er mich ärgern wollte. Spinnen und die Schlange und der Säbelzahntiger. Tom. Oh Gott, Tom steht da oben im Regen und wundert sich, warum keiner zurückkommt. Komisch, dass die Höhlenrettung noch nicht hier ist. Ich bin doch sicher schon Stunden hier unten. Uhr, ich hab ja seine Uhr und könnte nachschauen, aber ich bin zu müde. Mila ist weg mit meiner ganzen Ausrüstung. Hel, die Todesgöttin. Ich schaue mich in der Höhle noch mal um. Da höre ich Stimmen. Sind die echt oder träume ich? Plötzlich erkenne ich eine Person vor mir.
    Landgraf, ist das wirklich Landgraf? Er hat Kratzer im Gesicht und über dem rechten Auge eine dicke Beule. Unter Stöhnen kniet er sich vor mich hin und schüttelt ständig den Kopf. »Ally, es tut mir so leid. Lass mal dein Bein sehen.«
    Ich habe Mühe, meine Augen offen zu halten. Mir ist so schwindlig und es tut weh, wenn er mein Bein bewegt. »Wo ist Jury?«, frage ich.
    Keiner antwortet. Mir wird erst heiß, dann bricht mir kalter Schweiß aus. »Ist er tot?«, frage ich, möchte am liebsten schreien, doch es kommt nur ein Flüstern über meine Lippen.
    »Nein.« Landgraf steht wieder auf. »Er ist nur verletzt. Verdammt, Mila, wir müssen uns beeilen, Ally und Jury müssen so schnell wie möglich hier raus.«
    »Ich will zu ihm, bringt mich sofort zu ihm!«

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