Lügennetz: Thriller (German Edition)
Sonnencreme, laute Musik und noch lauteres Lachen. Wir hatten es sogar geschafft, während der anstrengenden, durchgefeierten vier Tage heil zu bleiben.
Äh… und jetzt?, dachte ich.
Alex ließ seinen Blick langsam über seine vier Reisebegleiter wandern, bevor er den Fehdehandschuh warf. » Heute ist unser letzter Tag hier. Hat jemand Lust auf einen Nachtisch? « , fragte er. » Ich dachte an Wackelpudding. An die Art, an die Bill Cosby nicht im Traum denken würde. An die Art, die im Schnapsglas serviert wird. Mit Wodka. «
Der Song der Cars ging in einen lebhaften Gitarrenriff über, als sich das Gesicht meiner besten Freundin Maureen voll Neugier aufhellte. Sie, meine hübsche Mitbewohnerin und Cokapitänin der Frauen-Softballmannschaft, war offenbar mit von der Partie. Ebenso wie ihr Freund, Big Mike, wie sein begeistertes Nicken verriet. Selbst unsere beflissene, gewöhnlich pessimistische, sonnenverbrannte Kumpanin Cathy blickte angesichts des interessanten Vorschlags von ihrem Taschenbuch auf.
» Jeanine? « , fragte Alex, während die Blicke meiner Freunde in abwartendem Schweigen auf mir ruhten.
Die fragwürdige Entscheidung lag also bei mir. Ich schürzte besorgt die Lippen und blickte auf den sandigen Boden zwischen meinen von der Sonne gebräunten Zehen, bis ich mein Gesicht zu einem schelmischen Grinsen verzog und mit den Augen rollte. » Äh… auf jeden Fall! « , sagte ich.
Die anderen Gäste in der Bar wandten sich zu uns um, als meine Freunde johlten, die Hände aneinanderklatschten und auf den sandigen Tisch klopften.
» Schnaps, Schnaps, Schnaps « , riefen Mike und Alex. Die Kellnerin machte sich sogleich an die Arbeit.
Als verantwortungsbewusste, gute Studentin und Sportlerin war mir bewusst, dass Wodka und Gelatine am Nachmittag hochgradig gefährlich waren. Aber schließlich hatte ich eine Entschuldigung. Oder vielmehr vier: Ich war College-Studentin. Ich war in Key West. Die Frühjahrsferien 1992 waren fast zu Ende. Und ich hatte drei Tage zuvor meinen einundzwanzigsten Geburtstag gefeiert.
Doch während ich dort am Tisch meinen Blick über die fröhlichen Menschen in der Bar vor dem endlosen satinblauen Golf schweifen ließ, kamen mir– zumindest ganz leise– Zweifel, ob ich mein Glück nicht zu sehr herausforderte.
Das Gefühl war aber bereits verflogen, als Maggie mit den Schnäpsen an unseren Tisch kam und wir das taten, was wir immer taten: Wir erhoben unsere Pappbecher, stießen sie aneinander und riefen, so laut wir konnten: » Feiern bis zum Umfallen! «
2
Einmal sah ich ein Video vom Tsunami in Sri Lanka 2004. Es war vor einem Strandhotel aufgenommen worden und zeigte eine Gruppe Touristen, die neugierig an den Sandstrand gekommen waren, um nachzusehen, warum sich das Wasser zurückgezogen hatte.
Den Blick auf den Bildschirm gerichtet und wohl wissend, dass das Wasser bereits dabei war zurückzuschwappen, um die Touristen zu töten, war ich verwirrt über deren Arglosigkeit. Darüber, dass sie sich in Sicherheit wähnten, ohne zu ahnen, dass dies, von der Kamera beobachtet, die letzten Augenblicke ihres Lebens waren.
Mich überkommt das gleiche Gefühl, wenn ich daran denke, was mir als Nächstes passierte.
Ich wähnte mich immer noch in Sicherheit.
Und lag mit diesem Gefühl völlig daneben.
Einige Stunden später hatten die Wodka-Wackelpuddinge ihre Aufgabe mehr als erledigt. Um halb acht an diesem Abend lagen meine Freunde und ich wie die Ölsardinen auf dem Mallory Square, um zwischen anderen Betrunkenen den weltberühmten Sonnenuntergang zu feiern. Das goldene Licht wärmte unsere Schultern, während wir mit kaltem Bier herumspritzten, bis unsere Zehen an unseren Flipflops klebten. Mit Cathy und Maureen rechts und Alex und Mike, sein Footballer-Kumpel, links von mir, die Arme jeweils um die Schultern des Nachbarn gelegt, sangen wir » Could You Be Loved « mit genauso viel Leidenschaft in der Stimme wie Bob Marley höchstpersönlich.
Mit einem Schlapphut auf dem Kopf, ansonsten nur bekleidet mit einem Bikinioberteil und einer abgeschnittenen Cargohose, tanzte ich sturzbetrunken vor der Reggae-Band. Ich lachte hysterisch und schwankte Stirn an Stirn mit meinen Freunden, und wieder überkam mich das Gefühl, das ich in der Strandbar gehabt hatte, aber diesmal wie mit Steroiden aufgepumpt. Ich hatte alles. Ich war jung und hübsch und sorgenfrei. Ich war von Menschen umgeben, die ich liebte und die mich liebten. Einen flüchtigen Moment lang war ich in
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