Lügennetz: Thriller (German Edition)
dem Moment wieder, in dem er seinen Kurs wie eine Lenkrakete änderte und auf die Straße preschte.
Direkt vor meinen Wagen.
Sofort und instinktiv trat ich auf die Bremse und riss das Lenkrad nach rechts, um dem Hund auszuweichen. Der Gestank nach verbrannten Reifen drang in das Wageninnere, als der Wagen wie bei Glatteis nach links schleuderte. Ich versuchte ihn auszurichten, musste aber zu weit gegengelenkt haben, weil der Wagen plötzlich die Richtung änderte und sich unter dem lautstarken Protest der Reifen im Uhrzeigersinn drehte.
Scheiße!
Ich hatte gänzlich die Kontrolle über den Wagen verloren. Mein Kopf knallte haltlos gegen die Kopfstütze, als säße ich auf dem Rummelplatz in einem Tassenkarussell. Ich hielt den Atem an, als die linke Seite des Wagens angehoben wurde und der Wagen zu kippen drohte. Doch er kippte nicht, sondern drehte sich um hundertachtzig Grad, drehte sich weiter, bis er einmal herum war. Und erst jetzt sah ich, was mich dort erwartete.
Ich begann zu schreien.
Von den umherwirbelnden Scheinwerfern erfasst, befand sich vor mir, wie von Zauberhand dorthin gesetzt, der Hundebesitzer, der Radfahrer mit dem grauen Zopf aus der Bar.
Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war, dass ich immer wieder wie eine Wilde auf die Bremse trat und mir an dem sich drehenden Lenkrad beinahe die Finger verbrannte.
Ich schloss die Augen, als die wedelnde Schnauze des Camaro den Radfahrer mit einem dumpfen Schlag an der Hüfte erfasste. Er polterte über die Motorhaube und rutschte quietschend an der Windschutzscheibe hinauf.
Dann herrschte Stille. Nichts als schreckliche, ohrenbetäubende Stille.
5
Ich zwang mich, die Augen zu öffnen. Der Camaro war zwanzig Meter weiter schliddernd stehen geblieben.
Ich starrte auf die leere Straße vor mir, den Fuß fest aufs Bremspedal gepresst, während meine Hände wie zwei Zangen das Lenkrad umklammerten. Das einzige Geräusch war mein panisches Keuchen, und der Schweiß schien aus allen Poren gleichzeitig zu fließen, aus meinen Armbeugen, den Kniekehlen, selbst aus meinen Ohren.
Der Motor des Camaro blubberte vor sich hin wie ein nach Luft schnappendes Tier. Ich dachte, die Windschutzscheibe wäre gesprungen, doch sie war unversehrt. Ebenso wie die Motorhaube. Abgesehen davon, dass ich ein paar Zentimeter Reifengummi und Bremsbeläge verloren hatte, schien es dem Wagen bestens zu gehen.
Als ob überhaupt nichts passiert wäre.
Als ob.
Ich weigerte mich, in den Rückspiegel zu sehen. Stattdessen starrte ich Albert an, den dümmlich grinsenden, orangen Alligator auf dem Logo der University of Florida auf dem Duftanhänger. Albert hatte zu der Situation auch nichts zu sagen. Ich saugte die Luft ein wie ein Taucher, bevor er sich auf den Weg in die Tiefe machte, und hob schließlich den Blick.
Der Radfahrer lag reglos auf der rechten Spur hinter mir, mit dem Gesicht nach unten neben meinen Bremsspuren. Sein dicker grauer Zopf hatte sich etwas gelöst, seine Arme hielt er ausgestreckt wie der gekreuzigte Jesus. Verkehrshütchen und Stützen von einer Baustelle entlang des Straßenrandes lagen um ihn herum verteilt wie umgeworfene Kegel.
Als ich den großen, dunklen Fleck in seinem grauen Haar und auf der Straße neben seinem Kopf bemerkte, begannen mehrere Teile meines Körpers gleichzeitig zu zittern– meine Knie, meine Hände, meine Lippen. Ich stieß meinen sauren, rumträchtigen Atem aus und bedeckte mein Gesicht mit meinen zitternden Händen, krallte die Finger in mein Haar wie ein Bergsteiger, der abzustürzen droht.
» Was habe ich getan? « , fragte ich mich, während ich hysterisch nach Luft schnappte.
Einen Menschen getötet, antwortete mein Hirn mit nüchterner Klarheit. Du hast gerade einen Menschen getötet, um seinen Hund zu retten.
Ich blickte geradeaus auf die freie Straße vor mir, die verlockend wie im Traum hinter einer Kurve im Mondlicht verschwand wie der gelbe Ziegelsteinweg im » Zauberer von Oz « .
Dann sagte die kühle, rationale, sehr nüchtern klingende Stimme in meinem Kopf zwei Worte. Sie klangen wie der Ausschnitt aus einer Autowerbung, wie ein Werbeslogan:
Hau ab.
Es war nicht dein Fehler,fuhr meine innere Stimme fort. Du hast versucht, dem Hund auszuweichen. Du hättest nichts dagegen tun können, und niemand hat etwas gesehen. Nimm deinen Fuß von der Bremse und setze ihn aufs Gaspedal. Sieh nicht zurück. Sei nicht dumm. Hau einfach ab.
Es stimmte, dass mich niemand gesehen hatte, wie ich schwer schluckend
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