Lügennetz: Thriller (German Edition)
Reihe nach, ganz methodisch. Suchte die überfüllten Gänge ab. Doch er sah sie nicht. Auch nach fünf gründlichen Minuten nicht. Es waren zu viele Menschen, zu viele Gesichter. Keins von ihnen gehörte Jeanine.
Die Frau hatte nur wie sie ausgesehen, und er hatte voreilige Schlüsse gezogen. Ja, so musste es sein, dachte er, als er seinem Sohn das Fernglas zurückgab.
Im Jahr zuvor hatte er aus unerfindlichen Gründen immer öfter an Jeanine gedacht. Ein paarmal hatte er sogar von ihr geträumt.
In einem dieser Träume saß er mit ihr wie bei ihrer ersten Verabredung im Garten an der Kaimauer beim Abendessen. In einem anderen hatte er seine Hände um ihren Hals gelegt und drückte sie an einem leeren Strand unter Wasser, während sie versuchte, ihn zu kratzen.
Das alles lief in seinem Kopf ab.
Als er sich wieder dem Spiel widmete, sah er, dass A-Rod auf der ersten Base und Beckett auf dem Weg in die Dusche war.
» So ein Scheiß! « , schrie sein Sohn Scott.
Tom Reilly, der FBI ler neben ihm, vollführte so was wie einen kleinen Siegestanz und kicherte unkontrolliert.
Weißt du, was noch lustiger ist, Tom?, hätte Peter ihn am liebsten gefragt. Die Art, wie du dich von mir um Infos über bevorstehende Abriegelungen des Drogenverkehrs anzapfen lässt. Und weißt du, was ich mit diesen und den anderen Infos mache, die ich so nebenbei von deinen bescheuerten Kollegen von der Drogenbehörde erhalte? Ich verkaufe sie an die Kartelle. Hast du schon mal von Luftverkehrskontrolleuren gehört? Ja? So einer bin ich nämlich. Beckett hat vielleicht gerade ein perfektes Spiel in den Sand gesetzt, aber ich, mein Junge, habe letztes Jahr eine siebenstellige Summe verdient. Steuerfrei. Nicht schlecht für einen Provinzbullen aus Florida, was?
Grinsend griff Peter ins blonde Haar seines sonnengebräunten Sohnes. » Keine Sorge, davon geht die Welt nicht unter, Scott. Ein Mann wird mit Enttäuschungen spielend fertig. Und was habe ich dir über den Gebrauch des S-Wortes gesagt? «
» Entschuldige, Dad « , sagte Scott schuldbewusst. » Ich wollte Scheibenkleister sagen. «
» Na siehst du. « Peter klopfte seinem Sohn vorsichtig auf die Schulter und zwinkerte Reilly zu. » Das klingt schon besser. Vergiss nicht: Die Worte, die wir wählen, verraten unseren wahren Charakter. «
55
Um Viertel vor neun am Donnerstagmorgen betrat ich einenfunkelnden Büroturm aus schwarzem Glas auf der 57th Street Ecke Third Avenue. Mit meinem Besucherausweis am Revers lächelte ich die etwa ein Dutzend anderen jungen Global-100-Anwälte an, die steif wie frisch gespitzte Bleistifte im Konferenzraum der zweiundzwanzigsten Etage saßen und auf den Beginn der Besprechung warteten. An der ehrenamtlichen Initiative wollte sich offenbar eine ganze Reihe von Kanzleien beteiligen.
Ich überflog die eindrucksvollen Firmennamen auf den Platzkarten. Einige Kanzleien vertraten sogar ganze Länder. Es war ermutigend, Anwälte zu sehen, die bereit waren, kostenlose Arbeit zu leisten.
Wenn es wirklich das war, was wir tun würden. Jedenfalls hoffte ich das.
Leider hatte ich bereits bei ehrenamtlichen Initiativen mitgewirkt, bei denen es lange Besprechungen mit Mittagessen auf Spesenrechnung und von hoher Gesinnung getragene Dialoge, aber nicht allzu viel eigentliche Arbeit gegeben hatte, die irgendjemandem geholfen oder irgendwas gebracht hätte.
Wie auch immer, ich jedenfalls würde mir für meinen Chef, Tom Sidirov, den Arsch aufreißen.
Und für den Ausball von Derek Jeter, den Emma am Abend zuvor geschnappt hatte, und für das Privileg, aus erster Reihe mit ansehen zu dürfen, wie die Bombers das perfekte Spiel von Beckett im neunten Inning dank Cano in einen Grand Slam verwandelten.
Ich war bereit, vierzig Stunden am Tag zu arbeiten.
Ich holte gerade Kaffee und Info-Material, als ich aus dem Augenwinkel heraus einen roten Haarwuschel entdeckte.
» Das gibt’s ja nicht! « , kreischte ich.
» Und ob’s das gibt! « , begrüßte mich meine hübsche Freundin Mary Ann Pontano und warf sich mir in die Arme. » Du bist meine Rettung. Ich hätte diese Konferenzhölle nicht überstanden. «
Lachend drückte ich sie noch einmal fest an mich.
Sie war meine erste Freundin in New York gewesen und hatte direkt neben mir gewohnt, nachdem ich zwei Wochen nach meiner Ankunft mit dem Greyhound Bus die beschissene Wohnung auf der 117th Street in Spanish Harlem bezogen hatte.
Da wir beide die einzigen alleinstehenden Frauen und nicht Spanisch
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