Lügennetz: Thriller (German Edition)
Blasen. Tu der ollen Mary Ann einen Gefallen. Außerdem ist es ein Medienereignis. Denk an die Öffentlichkeitswirkung für deine Kanzlei. Du könntest zur Partnerin aufsteigen. «
Ein Medienereignis? Es kam ja immer schlimmer. Warum, zum Teufel, hatte ich nicht davon gehört? » Ein Medienereignis? Echt? « , vergewisserte ich mich.
» Justin Harris? Ja. Ich habe im Fernsehen davon gehört « , meldete sich Jane zu Wort. » Also echt jetzt, Mary Ann, du hast den Fallschirmmörder-Fall? «
» Ja « , antwortete Mary Ann verärgert. » Willst du tauschen? «
» Meine Zeit mit einem sadistischen Serienmörder verbringen? Puh, lass mich nachdenken… äh, nein « , antwortete Jane.
Mary Ann wandte sich wieder zu mir. » Bitte. Um der alten Zeiten willen. «
Erst jetzt sah ich auf dem Blatt mit den Kontaktangaben, dass Harris’ Anwalt in Key West wohnte. Die Angst, Mary Ann könnte mein Foto erkennen, wich meiner Todesangst, als ein Bild vor mir aufblitzte, auf dem Elena, von Kugeln zerfetzt, auf dem Boden der Tankstelle lag.
Nach Key West zurückgehen? Ich nahm einen Schluck Kaffee, mit dem ich das Bild aber nicht hinunterspülen konnte.
Auch nach siebzehn Jahren nicht. Nein!
Würde ich Peter begegnen, wäre mir die Todesstrafe auf jeden Fall sicher.
Ich reichte Mary Ann die Fallakte zurück, als hätte ich mir die Finger verbrannt. » Ich kann nicht « , lehnte ich mitfühlend ab. » Tut mir leid. Emma hat bald ihre Zugangsprüfung fürs College. « Wie immer fiel mir das Lügen leicht. Vermutlich hätte ich ein schlechtes Gewissen haben sollen. Hatte ich aber nicht.
» Schön « , sagte Mary Ann. » Ganz toll. Ich ziehe ja immer den Kürzeren. «
Nein, hätte ich ihr gerne gesagt. Ich habe diesmal einfach nur knapp danebengegriffen.
58
I ch beschloss, zu Fuß ins Büro zurückzugehen. Dieser Tag gehörte zu denjenigen, die einen mit den vielen Strafzetteln fürs Parken in dritter Reihe, U-Bahn-Streiks und umgestürzten Baukränen in New York versöhnten.
Doch aus einem seltsamen Grund heraus war ich nicht in der Stimmung, über Aprilregen oder einen Zwischenstopp auf der Park Avenue nachzudenken, um dort an den Tulpen zu schnuppern.
In meinem kleinen Büro auf der dreiundvierzigsten Etage in der Lexington Avenue schloss ich die Tür hinter mir und blickte hinunter auf die Straße, wo Menschen in die Grand Central Station hineineilten und wieder hinaus. Hinter dem Empire State Building glitzerte in der Mittagssonne das Zentrum von Manhattan mit seinen ineinander verwobenen Straßen wie Monopolyteile auf einem riesigen Orientteppich.
Ich dachte an die Zuhälter und Spelunken auf der Eighth Avenue, die meinen ersten Eindruck am Abend meiner Ankunft in New York geprägt hatten, und daran, was ich seitdem erreicht hatte.
Dort am Fenster stehend, legte ich die Arme fest um meinen Körper. Meine Trauer verwandelte sich in plötzliche Wut. Dass die ganze Sache jetzt ans Tageslicht kommen sollte, so kurz vor dem Ziel, gerade jetzt, wo mein Leben und meine Karriere einen steilen Weg nach oben nahmen, war mehr als Zufall. Es schien Absicht zu sein.
Ein Medienereignis? Hatte ich nicht schon genug gelitten? Ich dachte über das Leben nach, das ich mir mühsam erkämpft hatte. All die Kommentare und unanständigen Angebote von bescheuerten Restaurantleitern und Gästen. Die vorwurfsvoll hochgezogenen Augenbrauen, weil ich das Verbrechen begangen hatte, alleinerziehende Mutter zu sein. All die vollen Busse und U-Bahnen, die Arbeit, die Hausarbeit und die Heimarbeit, die mir nie einen Moment Ruhe zu gönnen schienen.
Vor allem dachte ich an die schrecklichen Nächte mit Emma, wenn sie Darmkoliken gehabt und ich sie, mit ihr weinend, in meinen Armen geschaukelt hatte, überzeugt, dass ich am nächsten Tag scheitern, Emma oder meine Arbeit verlieren oder meine wahre Identität ans Tageslicht kommen würde.
Hatte ich denn nicht schon genug mitgemacht? Meine Schuld noch nicht abgetragen, nachdem ich mich für meine Tochter aufgeopfert hatte, ständig den Blick voller Angst nach hinten gerichtet, während ich mir die Finger wundarbeitete?
Abgesehen davon war es ja nicht so, dass ich nicht versucht hätte, die Dinge wieder geradezubiegen. Nach etwa einem Jahr, als ich es zu einer bescheidenen Wohnung und einer anständig bezahlten Arbeit als Kellnerin in einem Mittagsrestaurant in SoHo gebracht hatte, las ich einen Artikel in der » Post « über den Fallschirmmörder. Als mich einen Abend später das schlechte
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