Luegenprinzessin
ausgiebig über die Mondlandung debattiert hatten und über den Umstand, dass Buzz Aldrin, weil er zwanzig Minuten nach Neil Armstrong den Mond betreten hatte, nie denselben Ruhm erreichte wie Armstrong, der erste Mann auf dem Mond.
Norbert und Milo, ein junger durchtrainierter Typ, der das Bridge-Swinging betrieb, bestimmten nun einfach die Reihenfolge. Ladies first, da waren sie sich einig und zeigten auf Joe.
»Krieg ich noch einen letzten Kuss?«, hörte ich David sagen. Mit brennenden Augen verfolgte ich, wie Joe sich verführerisch zu ihm umdrehte und dann, kurz bevor sich ihre Lippen berührten, ihren Kopf zur Seite drehte. Scheiße, war die cool.
Nachdem für mich ein Sprung ausgeschlossen war, stieg ich die Wendeltreppe nach unten und gesellte mich zu Amelie und Quen, die sich gegen das Springen entschieden hatten. Ich war mir sicher, dass sie gleich eine Erklärung abgeben würde, wie »Ich bin schon so oft von viel höheren Orten gesprungen, das hier wäre nur langweilig für mich« oder »Warum sollte ich mir wegen so einem Blödsinn meine Frisur versauen?«. Umso erstaunter war ich, als Quen mich giftig anfuhr: »Brauchst gar nicht so schauen, Mia. Ja, wir springen nicht, weil wir Schiss davor haben, und ich hab kein Problem damit, das zuzugeben.«
»Ich auch nicht«, ergänzte Amelie. »Und ich bin mir sicher, dass ein paar da oben genauso ungern springen möchten, allerdings nicht die Größe besitzen, das zuzugeben.«
Sofort ärgerte ich mich wieder. Weil ich nämlich genau wusste, dass ich tatsächlich nicht die Größe besessen hätte, das zuzugeben. Und wer wollte schon weniger Charakter haben als eine Quak?
Chris kam ebenfalls die Wendeltreppe herab. Unwillig schüttelte er den Kopf. »Keine zehn Pferde brächten mich dazu, mich da runterzustürzen.«
Quen setzte ihr reizendstes Lächeln auf. »Weißt du, was? Im Gegensatz zu all den Angebern da oben bist du richtig süß.«
Chris lief so hochrot an, dass ich richtig Angst bekam, er würde gleich umkippen. »Hmm, ja, mhm. Manch einer ist sicher ein A-angeber.«
»Du brauchst doch nicht zu stottern, wenn du mit mir redest.« Sie lächelte immer noch honigsüß.
Chris grinste blöde. »Na ja«, sagte er dann, fuhr sich aufgeregt durchs Haar und grinste gleich noch viel blöder. Ich konnte gar nicht mehr hinsehen, dabei hätte ich zu gerne gewusst, ob Quen diese Show abzog, um mich zu ärgern, oder ob sie sich einfach über Chris lustig machte.
»Oh«, rief Amelie und zeigte nach oben.
Wir schirmten mit den Händen unsere Augen ab und blinzelten nach oben. Joe befand sich bereits auf dem Brückengeländer. Um Bauch und Hüfte einen ganz ähnlichen Gurt wie im Klettergarten stand sie breitbeinig und mit zur Seite gestreckten Armen sehr aufrecht da.
Und dann sprang sie.
Ich hielt die Luft an. Mein Herz klopfte wie wild. Joe war wie ein Vogel vom Geländer abgehoben. Kein Schrei, kein Quietschen, für den Bruchteil einer Sekunde hörte man gar nichts. Diese Stille war es, die in mich eindrang, von mir Besitz ergriff und sich in Angst verwandelte. Dann spannte sich das Seil. Wie durch ein Wunder saß Joe plötzlich aufrecht und schaukelte unter der Brücke durch und wieder zurück. Bis hinunter konnten wir ihr erleichtertes Lachen hören, doch dieses leise Gefühl der Angst, das sich in mir festgesetzt hatte, blieb.
Joe wurde hinuntergelassen und David war an der Reihe. Mir war schlecht vor Aufregung. Wer sagte mir denn, dass David in Sicherheit war? Wenn die Psychofrau mir schaden wollte, könnte sie das unter anderem tun, indem sie David abstürzen ließ.
Mia, sei nicht so saublöd, durchzuckte es mich. Niemand von uns kann an diesen Seilen herummanipulieren. Und wenn es aber trotzdem reißt? Einfach nur so? Meine Schulter schmerzte extrem, weil mein ganzer Körper so angespannt war. Als David – nicht ganz so elegant wie Joe – den Abflug wagte, zitterten meine Hände. Und als er schließlich laut lachend hin- und herschaukelte, schossen mir die Tränen in die Augen.
»Heulst du?«, fragte Amelie.
Ich schüttelte den Kopf. »Ist nur die Sonne.«
Plötzlich kam ich mir unendlich bescheuert vor. Ich war mir auf einmal sicher, dass ich beobachtet wurde und sich jemand über meine deutlich sichtbare Angst köstlich amüsierte. Allein deswegen war es schon ein Riesenfehler von mir, mich derartig in diesen Albtraum hineinzusteigern. Ab jetzt würde ich cooler sein, beschloss ich. Und frühestens wieder Angst bekommen, wenn Vero heute
Weitere Kostenlose Bücher