Luegenprinzessin
Nacht ins Wasser stieg.
Zwanzig Minuten später musste ich mein Vorhaben revidieren. Und zwar, als Felix’ Sprung an der Reihe war.
Vero und Diana waren glücklich unten angekommen. Begeistert und mit glänzenden Augen. Ich freute mich für sie, gleichzeitig verspürte ich schon einen kleinen Stich, dass sie soeben etwas derart Großartiges erlebt hatten, während ich zum Zuschauen verbannt war. Erhitzt und glücklich texteten sie sich gegenseitig zu. Für mich stand fest, dass meine Eltern mich – Höhenangst hin oder her – zum Bridge-Swinging fahren mussten, sobald meine Wunde verheilt war.
Ich legte den Kopf in den Nacken und kniff die Augen zusammen. Wenn ich bloß meine Kontaktlinsen hätte, dann könnte ich jetzt eine Sonnenbrille aufsetzen. Durch den schmalen Spalt, den meine Lider frei ließen, sah ich, wie Joe die Treppe nach oben rannte. Was machte sie da? Oben warteten nur noch Felix und Kinga auf ihren Sprung. Milo legte soeben den Gurt um Felix’ Bauch und redete erklärend auf ihn ein, als Joe oben ankam und auf Kinga zusteuerte. Ich sah, dass die beiden ein paar Worte wechselten, dann zeigte Joe nach unten. Kinga schüttelte den Kopf. Plötzlich überkam mich ein unbeschreiblich starkes Gefühl der Gewissheit. Ich hatte keine Ahnung, wie sie es fertigbrachten und vor allem was genau, aber ich wusste, dass sie es jetzt in diesem Moment, während Felix und Milo abgelenkt waren, taten. Jetzt drehte Felix sich zu den beiden um – hatte er etwas Verdächtiges gehört? Doch nein, er reckte bloß vollkommen ahnungslos beide Daumen in die Höhe und ließ irgendeinen Spruch vom Stapel. Oh Felix, dummer, dummer Felix. Er packte das Geländer mit beiden Händen und stellte den ersten Fuß drauf.
Da endlich kam Leben in mich. Ich galoppierte los, rannte die Wendeltreppe hoch mit einem Affenzahn, dass ich mehrere Male ins Stolpern geriet. Der Schmerz in meiner Schulter pochte und brannte, doch darauf nahm ich keine Rücksicht. Felix würde sterben, wenn ich es nicht rechtzeitig schaffte, alles andere war zweitrangig. Dann endlich war ich oben. Ich schrie seinen Namen. Felix zuckte zusammen, wandte den Kopf in meine Richtung und – verlor das Gleichgewicht.
»Nein«, brüllte ich und lief wie in Trance zum Brückengeländer. Felix verschwand soeben unter dem Brückenbogen. Mir war, als würde mir jemand das Herz rausreißen. Wimmernd starrte ich hinunter, und als Felix friedlich schaukelnd auf meine Seite zurückpendelte, dauerte es noch ein paar Sekunden, bis ich registrierte, dass er nicht tot war und in den nächsten Minuten auch nicht sterben würde.
Alles beim Alten. Ich hatte mich wieder zum Jahrhundertnarren gemacht und Milo und Mr Bean hatten mir eine Mega-Standpauke darüber gehalten, wie gefährlich es war, den Springer so kurz vor dem Absprung dermaßen zu irritieren. Langsam wünschte ich, ich wäre tot. Vielleicht drehte ich wirklich langsam durch? Selbst meine vier engsten Freunde zeigten sich verstört über den Auftritt
»Das alles ist zu viel für dich«, stellte Diana fest.
»Es könnte natürlich schon mit dem Schock zu tun haben, den du gestern wegen dem Pfeilschuss erlitten hast«, gestand Chris mir immerhin zu. Felix äußerste sich kaum zu dem, was vorgefallen war, und als ich mich bei ihm entschuldigte, weil ich ihm seinen Sprung so versaut hatte, winkte er nur ab. Ich hätte mich am liebsten selbst massakriert vor lauter Wut auf mich.
Als es sich am Heimweg endlich ergab, dass ich mit Vero allein sprechen konnte, zischte ich ihr zu: »Ich hab gesehen, dass Joe vor Felix’ Sprung zu Kinga gelaufen ist. Da bin ich durchgedreht.«
Sie machte große Augen. »Jetzt verstehe ich… warum hast du denn nichts gesagt? Dann hätten wir wenigstens zusammen raufrennen können und uns beide – ähm«,
»– zum Affen machen können«, endete ich für sie. »Sprich es ruhig aus.«
»So hab ich’s nicht gemeint. Komm, erklären wir zumindest Felix, warum du plötzlich solche Angst hattest.«
»Nein.« Jetzt wurde ich bockig. »Ich erkläre gar nichts mehr, mir glaubt ja sowieso keiner was. Ach, verdammt!« Ich steckte die Hände in die hinteren Hosentaschen und beschloss, den Rest des Rückwegs alleine zu gehen.
Vor dem Abendessen, ich wollte gerade zur Toilette gehen, traf ich auf Willi.
»Hi Mia«, sagte er lächelnd.
»Hi.« Sosehr mir seine Komplimente auch schmeichelten, für einen weiteren Willi-Flirt hatte ich jetzt wirklich keinen Kopf.
»Wohin des Weges?« Willi gab
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