Luegenprinzessin
säuberlichen Blockbuchstaben darauf. Mir stockte der Atem. Genau so ein T mit einem geschwungenen Querstrich hatte ich erst vor Kurzem gesehen.
Den Weg zur Brücke sollten wir zu Fuß bestreiten, ein Marsch, der etwa eine Stunde dauern würde. Misstrauisch äugte ich in meine Trinkflasche und stellte erleichtert fest, dass sie leer war.
»Holen wir uns einen Saft von drinnen?«, fragte mich Vero.
Ich nickte und folgte ihr aus dem Zelt.
»Bist du jetzt eigentlich mit Joe und Kinga befreundet?«, fragte sie mich plötzlich, wobei ihre Stimme einen eigenartigen Unterton annahm, den ich nicht wirklich einordnen konnte.
Aber gerade aufgrund dieses Untertons erwiderte ich: »Ich finde die beiden echt nett.«
»Mhm.«
»Warum fragst du?«
Ich hatte ihr nicht von meiner Entdeckung erzählt. Nach dem ersten Schock hatte ich noch mal darüber nachgedacht, dass wirklich sehr viele das T genauso schrieben und dies noch lange kein Grund war, Joe ernsthaft für die Psychofrau zu halten. Und wäre sie wirklich so dumm gewesen, für einen anonymen Drohbrief nicht ihre Schrift zu verstellen? Eher nicht. Außerdem musste ich Felix irgendwie sogar recht geben. Joe wirkte schon viel erwachsener als die meisten von uns. Dafür bewunderte ich sie ja insgeheim. Und was die Psychofrau da abzog, war alles andere als erwachsen. Trotzdem hatte ich mir vorgenommen, Joe von nun an nicht mehr aus den Augen zu lassen. Beim genaueren Analysieren des Zettels hatte ich nämlich noch festgestellt, dass auch das D, das s und das u denen auf der Botschaft wirklich extrem ähnlich waren.
Vero hatte immer noch nicht auf meine Frage geantwortet. Ich wiederholte sie, diesmal schon etwas genervter: »Warum fragst du?«
Nach einem tiefen Atemzug meinte sie – betont beiläufig, wie mir schien: »Ach, ich frag mich nur, ob deine Sympathie für die beiden vielleicht dein Urteilungsvermögen beeinflussen könnte.«
Ich blieb stehen. »Du tust ja grade so, als wäre ich verliebt in die zwei. Sooo sehr mag ich sie auch wieder nicht, dass ich deswegen nicht mehr klar denken kann.«
Vero nickte. Ich fand es komisch, dass sie so rasend ernst dabei aussah. »Da ist doch noch was, oder?«
»Ich möchte nur, dass du auf dich aufpasst, Mia.«
Ich versuchte, ein amüsiertes Grinsen vorzutäuschen, was wohl gründlich misslang. Stattdessen warf ich ihr einen fragenden Blick zu.
»Na ja, also, von außen kann man gewisse Situationen besser beurteilen, als wenn man direkt betroffen ist.«
»Und was genau heißt das in meinem Fall?«
»Du wirst böse werden, wenn ich dir das sage.«
Klar, ich wurde ja jetzt schon böse. »Sag es einfach!«
»Kinga und Joe nutzen dich aus. Sie manipulieren dich die ganze Zeit, aber du merkst es nicht.«
Okay, jetzt war ich wirklich sauer. Ich wollte loslegen, doch sie kam mir zuvor. Rasch, damit ich sie nicht unterbrechen konnte, stieß sie hervor: »Es geht hier nicht um Eifersucht, Mia, sondern nur um diese ganzen seltsamen Ereignisse. Mia…Was, wenn die beiden unter einer Decke stecken?«
8
»Auf, auf! Was man nicht erlernt, kann man erwandern!«
»Manchmal frag ich mich, ob der Kerl überhaupt versteht, was er da sagt«, brummte Chris, während er in seinen Regenstiefeln über den ausgetrockneten Pfad schlurfte. Felix hatte wenigstens noch ein paar Converse mit, die er anziehen konnte. Die Sneakers der beiden waren erstens pitschnass und zweitens haftete ihnen immer noch ein penetranter Geruch an. Doch das war lediglich ein Randthema in meinem Kopf, beiseitegedrängt von Veros Verdacht gegen Joe und Kinga. Meine erste Reaktion war Ungläubigkeit gewesen. Wieso sollte es die beiden auf einmal im Doppelpack geben?
»Das saugst du dir nur aus den Fingern«, hatte ich gerufen, wobei ich den Schauer registrierte, der an meinen Armen hinablief. Vero hatte so sicher geklungen, so endgültig.
Und ihre Überlegenheit demonstrierte sie dann auch noch, indem sie mir keine Antwort gab, sondern stumm ins Haus trat.
Ich drängte sie ins Freie zurück.
»Erzähl mir wenigstens, wie du darauf kommst.« Doch in dem Moment kam Norberts Frau und Vero erkundigte sich nach dem Saft für unsere Trinkflaschen.
Felix und Diana diskutierten gerade lautstark den Unterschied zwischen Bungee-Jumping und Bridge-Swinging. Da durfte Chris natürlich nicht fehlen, so wenig er auch mit Sport am Hut hatte. Mit plötzlichem Antrieb schob er sich zwischen die beiden und leierte los. Es klang, als hätte er die passenden Wikipedia-Einträge
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