Luegenprinzessin
muss.«
»Ich auch.« Doch ich wusste, dass es beinahe unmöglich werden würde, sich abzusprechen.
Norbert und Mr Bean hatten vor, uns in den Wald zu schicken, sobald die Sonne untergegangen war. Ohne Taschenlampe oder sonstiges Licht. Und nicht etwa in Gruppen, sondern jeder einzeln.
Norbert machte sich daran, die Erklärungen Bieningers zu ergänzen. »Worum es bei dieser Aufgabe vor allem geht, ist Selbstvertrauen. Ein gesundes Selbstvertrauen, anders gesagt Vertrauen in eure Fähigkeiten, hilft euch in jeder Lebenslage« – Bildete ich mir das nur ein oder hatte er gerade einen bedeutungsvollen Blick in meine Richtung geworfen? »Es geht im Leben und auch im Überleben nämlich keineswegs darum, wer die dicksten Muskeln oder das meiste Geld hat, sondern vielmehr darum, wie man die Fähigkeiten, die man besitzt, einsetzt. Wenn ihr heute Abend einzeln durch den stockfinsteren Wald geht, wird es sich kaum vermeiden lassen, dass ihr euch ein kleines bisschen fürchtet –« Ein empörter kollektiver Aufschrei unterbrach seinen Vortrag. Beschwichtigend hob er beide Hände. »Wenn nicht, umso besser. Trotzdem sei all jenen, denen es vor dem Spaziergang ein bisschen gruselt, gesagt, dass ihr, wenn ihr euch selbst vertraut, am besten durchkommt. Das Ziel ist, möglichst nicht zu schreien und nicht die Flucht nach hinten anzutreten. Wir sind nicht beim Militär, es wird also nicht überwacht, wer schreit oder nicht, wer sich mehr fürchtet, wer sich weniger fürchtet, sondern ihr selbst übernehmt die Rolle des Kritikers.« Er grinste. »Wer heute Nacht zufrieden ins Bett gehen möchte, achtet darauf, den Marsch mutig zu bestreiten, alles klar?«
»Und wenn wir das nicht tun?«, fragte Chris misstrauisch.
Norbert lächelte verschmitzt. »Dann wird auch nichts Schlimmes passieren. Aber ihr werdet sehen, je sicherer ihr euch in euch selbst fühlt, desto weniger Angst werdet ihr haben.«
»Was redest du immer von Angst?«, regte der mutige Tobi sich auf. Vero und ich sahen uns an und verdrehten die Augen.
So ein Dreck! Bieninger und Norbert spielten der Psychofrau so richtig schön in die Hände. Allein im finsteren Wald. Eine bessere Gelegenheit gab es doch gar nicht für die.
Oder waren es doch zwei Psychofrauen? Ich schaute mich nach Joe und Kinga um. Die beiden standen meterweit voneinander entfernt, Kinga in ihrer Clique und Joe in ihrer. Denn dass die David-Tobi-Ben-Clique sie als Mitglied akzeptiert hatte, war eindeutig. Ich schüttelte den Kopf, als ich an meine eigene Verliebtheit dachte, und wünschte mir sehnsüchtig, dass das größte Problem in meinem Leben Liebeskummer wäre. Auch wenn ich in der Vergangenheit manchmal das Gefühl gehabt hatte, sterben zu müssen aus lauter Sehnsucht oder Frust oder Eifersucht, es war nichts gewesen gegen die Angst, die mir jetzt das Leben schwer machte. Wenn ich da lebend rauskäme, dann würde ich jede Sekunde meines Daseins genießen, nahm ich mir vor. Liebeskummer, Schulstress, nervende Eltern, schlechte Noten, all das würde mir willkommen sein.
»So, die Herrschaften bilden eine Reihe. So, schön hintereinander.« Mr Bean wirkte immer aufgeregter, er hatte ganz offensichtlich Freude an der Sache. Insgeheim hegte ich den Verdacht, dass er sich ausmalte, wie diese bodenlos frechen Jugendlichen sich im finsteren Wald vor Angst in die Hose machten. Na ja, ganz verdenken konnte ich es ihm nicht. Normalerweise wäre es auch für mich eine nette Vorstellung gewesen, dass Quen mit ihrer großen Klappe und Amelie mit der noch viel größeren Klappe vor lauter Panik zu heulen anfingen.
Es war schon nach neun. Die schwarze Decke der Nacht senkte sich auf die Landschaft, das Vogelzwitschern wurde langsam leiser und mein Herz pochte immer schneller. Eine Waffe! Warum hatte ich nicht eher daran gedacht? Das Pfefferspray!
»So, würde das Fräulein Mia sich jetzt auch in die Reihe stellen?«
Unschlüssig stand ich herum. David zwinkerte mir zu und machte mir extra Platz. Aber das Spray. Ich könnte sagen, ich müsste noch mal zur Toilette, aber dann wäre der Platz vor David natürlich vergeben und damit die Chance, dass wir uns womöglich im Wald trafen und er mich dann beschützen konnte… ich lächelte ihm dankbar zu und reihte mich vor ihm ein.
Diana räusperte sich laut. Ich warf einen Blick an den Anfang der Reihe. Vero und Diana standen hintereinander und rollten beschwörend mit den Augen. Ich löste mich von der Vorstellung, heute Nacht noch in Davids rettenden
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