Luegenprinzessin
Heldenarmen zu liegen, und machte mich auf den Weg nach vorne. Dann mussten wir Mädels uns eben gegenseitig beschützen. Doch Mr Bean hielt mich zurück. »So, wir bleiben schön dahinten. Das ist keine Gemeinschaftsübung, hier geht es um die innere Stärke und den Überlebenswillen des Einzelnen. So, nur Mut! Auf, auf!«
Vero musste als Erste losmarschieren. Es fühlte sich an, als würde eine Faust mein Herz zerquetschen, als ich Vero dabei zusah, wie sie zaghaft den kurzen Weg zum Wald hinunterging. Diana ist hinter ihr, beruhigte ich mich selbst. Diana ist mutig und schnell und intelligent, sie weiß, was zu tun ist, wenn es eng wird.
Jetzt hatte der Wald Vero geschluckt. Diana wollte gleich hinterher, doch Mr Bean hielt sie zurück. »So, noch einen Moment das Fräulein. Ausgemacht ist, dass wir warten, bis die Person außer Sichtweite ist, und dann noch eine halbe Minute drauflegen.« Er schob seine Brille die Nase hoch und prüfte die Stoppuhr. »Sooooooo, jetzt!« Diana preschte los. Quen und Tobi spotteten über sie, weil sie es anscheinend kaum erwarten konnte, »sich von einem Geist einen Arschtritt zu holen« – »Damit überhaupt mal ein Junge ihren Arsch berührt.«
»Haltet die Klappe«, sagte ich scharf.
»Na, nervös?«, hörte ich Davids Stimme von hinten. Ich drehte mich gar nicht erst um, der meinte eh nicht mich.
»Sprichst du nicht mehr mit mir?«
Ich runzelte die Stirn, wandte mich nun doch um. »Ich wünsch dir Glück, starke Mia«, flüsterte er.
»Ich dir auch«, gab ich zurück und wandte mich rasch ab, weil ich schon wieder ganz heiße Wangen bekam.
Ich war nach Ben an der Reihe. Eigentlich hatte ich es gut getroffen, weil ich zwischen zwei Jungs marschieren würde, also keiner von ihnen die Psychofrau sein konnte. Bieninger gab das Startzeichen für mich. Ich ging los. Nicht so schnell, dass man den Eindruck gewinnen könnte, dass ich angeben wollte, und nicht so langsam, dass man mir Panik unterstellen konnte. Selbstsicher versuchte ich zu marschieren, gar nicht nur wegen der anderen, sondern auch für mich selbst. Du bist stark, sagte ich mir, niemand kann dir etwas tun. Du strahlst so eine Sicherheit aus, dass keiner es wagen wird, dich anzugreifen. Ich passierte die ersten Bäume, verließ die Dunkelheit der Wiese, um in die vollkommene Finsternis des Waldes einzudringen. Unter meinen Schuhen knirschten und knackten kleine Äste, von weit her drangen Stimmen zu mir, aber ansonsten hörte ich gar nichts. Plötzlich hatte ich das Gefühl, seitlich einen Schatten gesehen zu haben. Einen Schatten in der Finsternis, sehr schlau, Mia. Trotzdem wich ich zur anderen Seite, merkte, wie meine Schultern sich vorschoben und ich in unübersehbare Verteidigungshaltung ging. Meine Selbstsicherheit schwand mit jedem Schritt. Ich umklammerte meinen lädierten Arm mit der anderen Hand, wie um ihn zu schützen. Ungeschickt stolperte ich ein paar Schritte rückwärts. Zwar in die richtige Richtung, also Flucht nach vorne, allerdings mit dem Rücken voran. Plötzlich fiel mir ein, dass David sicher schon losgegangen war und es echt peinlich wäre, wenn er mich so jämmerlich vorfand. Ich musste endlich schneller machen. Energisch drehte ich mich um und – prallte mit dem Oberkörper gegen einen kleinen Baum. »Au, verdammt!« Die schnelle Bewegung war Gift für meine Schulter gewesen.
Mit zusammengebissenen Zähnen hastete ich weiter und verfluchte Norbert für diese Idee und überhaupt für sein ganzes Abenteuercamp und Mr Bean verfluchte ich dafür, dass er mit uns hierhergefahren war. Ein Vogel schrie in der Ferne. War es sicher ein Vogel? Ich ballte die Fäuste und drückte sie an meinen Mund. Scheiße, hatte ich Angst. Ich ging schneller. Wenn ich nur endlich das Gefühl loswerden könnte, dass ich beobachtet wurde. Ich nahm die Hände vom Mund, streckte den unverletzten Arm aus und fing zu rennen an. Oh Gott, ich musste hier raus! Zweige streiften meine Wangen, zerkratzten mein Gesicht und die Baumwurzeln schienen wie wild aus dem Boden zu wachsen, von Meter zu Meter waren mehr von ihnen da. Ich wimmerte leise vor mich hin, so sehr fürchtete ich mich, und als ich mit dem Arm an einem Zweig hängen blieb, konnte ich es nicht ertragen, stehen zu bleiben, um mich zu befreien, sondern akzeptierte lieber einen großen Riss in meinem Pullover. Weil ich selbst ununterbrochen in Bewegung war und meinen eigenen Lärm machte, konnte ich es nicht wirklich sagen, doch ich bildete mir ein, Schritte
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