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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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»Glaub nicht«, sagt er. »War noch nie in ’nem Auto.«
    Das kann nicht wahr sein. »Und was ist mit einem Bus?«, frage ich.
    »Nö.«
    »Und U-Bahn?«
    »Schon«, sagt er. »Da hab ich geschlafen. Hab keine
Kühe oder Pferde aus dem Fenster von der U-Bahn gesehen. «
    »Nein«, sage ich.
    »Ich mag Kühe«, sagt er.
    »Auf der Farm gibt es Kühe. Vier Stück.«
    Er dreht sich zu mir um, um sich zu vergewissern, dass ich die Wahrheit sage. »Echt?«
    »Ja, echt. Kühe, Pferde, Schweine, Gänse, Hühner.«
    Er ist beeindruckt. »Pferde? Kann ich mit denen spielen? « Ich korrigiere meine Schätzung seines Alters noch weiter nach unten.
    »Ich weiß nicht, ob du mit ihnen spielen kannst, aber du kannst helfen, sie zu füttern«, sage ich. Vielleicht ist Zeit dazu, bevor sie ihn töten.
    »Cool«, sagt er und dreht sich wieder zum Fenster. Er erinnert mich an einen Welpen. Einen Welpen, den wir zum Einschläfern bringen.

NACHHER
    Wir erreichen die Straße zur Farm weit vor Sonnenuntergang, was es noch nie gegeben hat. Aber normalerweise fahren wir auch nie vor Mittag weg und auch nicht an einem Wochentag. Wir fahren die ganze Zeit entgegen dem Verkehr. Hier ist die höchste Blätterdichte, seit wir die Stadt verlassen haben. Die Bäume stehen nahe an der Schotterstraße, sie beugen sich darüber, verdecken die
Sonne. Wir sind umgeben von Gold-, Rot-, Braun- und Lilatönen. Das Licht, das durch die Blätter scheint, bringt sie zum Leuchten. Es ist wunderschön.
    Dem Jungen bleibt der Mund vor Staunen offen stehen.
    Wenn ich meinen Eltern sagen will, was die Oldies mit dem Jungen – mit Pete – vorhaben, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt. Wir sind nur noch zehn Minuten vom Haus entfernt, selbst bei dem langsamen Tempo, in dem Dad fährt. Was soll ich ihnen sagen? Was soll ich Pete sagen?
    Was hätte Zach von mir erwartet? Soll ich mich an seinem Mörder rächen? Oder ihm verzeihen?
    »Ist das das Haus?«, fragt der Junge. »Da sind lauter Bäume drum rum.« Man kann einen Teil der Veranda und zwei Fenster sehen. Der Rest wird vom Blättermeer verdeckt.
    Dad bringt das Auto zum Stehen. »Das ist es«, sagt er. »Das Haus meiner Mutter. Hier bin ich aufgewachsen. Ich bin sicher, du wirst dich hier wohlfühlen.« Weil sich Dad selbst hier ganz sicher nicht wohlgefühlt hat.
    Wir steigen alle aus, während Großmutter und Großtante Dorothy die Eingangsstufen hinunterkommen, um uns zu begrüßen. Zu spät, um noch etwas zu sagen. Ich bin nicht nur eine Lügnerin, sondern auch noch ein Feigling. Aber der Junge ist ein Mörder. Zach ist tot durch seine Schuld.
    »Das ist er also?«, sagt meine Großmutter und betrachtet den Jungen.
    Meine Cousins und Cousinen kommen angelaufen. Pete duckt sich, als erwarte er Schläge. Die Wölfischen bleiben ein wenig zurück. Sie sind noch ganz zerkratzt.
Gestern waren sie Wölfe. Aber ich merke, dass sie neugierig sind. Noch neugieriger sogar als ihre menschlichen Brüder und Schwestern, Cousinen und Cousins.
    »Wie alt bist du denn, Junge?«, fragt Großmutter.
    »Weiß nich.«
    »Mir hat er gesagt, vierzehn oder fünfzehn«, sagte ich, »aber ich glaub, er ist jünger.«
    »Könnte sein. Er ist wirklich schmächtig«, sagt Großmutter. »Kommt rein«, sagt sie zu meinen Eltern. »Micah, führ den Jungen ein bisschen herum.«
    »Okay«, sage ich. Ich bin erleichtert, dass die Oldies erklären werden, was mit dem Jungen passieren wird. Besser sie als ich. Meine Mutter wird versuchen, ihn zu retten. Ich weiß nicht recht, ob ich will, dass sie damit Erfolg hat oder nicht.
    »Geht wieder an eure Aufgaben und Übungen«, weist Großtante Dorothy die anderen an. Sie laufen auseinander. Der Junge schaute ihnen mit großen Augen hinterher. Eines der jüngeren Mädchen winkt ihm zu. Er lächelt sie an.
    Das wird nicht einfach werden.
    »Wie heißt sie?«, fragt er.
    »Äh«, sage ich, »weiß nicht genau. Ich kann sie nie alle auseinanderhalten.«
    »Du hast doch gesagt, das ist deine Familie.«
    »Stimmt. Das sind meine Cousinen und Cousins ersten und zweiten Grades und so. Die alten Damen sind meine Großmutter und meine Großtante.«
    »Und warum weißt du dann nicht, wer wer ist?«
    »Ich bin ja nicht so oft hier und es sind so viele.« Außerdem will ich es gar nicht wissen. Ich habe mich immer
so fern wie möglich gehalten. Ich gehöre in die Stadt. Ich bin immer nur zeitweise hier. »Und sie ist kein Wolf.«
    Ich wollte noch nie hier auf die Farm gehören. Deswegen rede ich kaum

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